Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Steg aus ließ ich den Blick über das Flussufer schweifen. Keine Spur von dem schwarzen Hausboot, weder auf der Seite von Les Marauds noch auf der von Lansquenet. War Inès womöglich auf und davon? Es gibt nur wenige sichere Stellen, wo man ein Hausboot dieser Größe festmachen kann, und jetzt, bei Hochwasser, ist der Tannes besonders unerbittlich. Außerdem funktionierte der Motor von Joséphines Boot nicht, und so konnte Inès allenfalls darauf hoffen, mit der Strömung flussabwärts zu treiben, bis sie in Chavigny oder Pont-le-Saôul einen Anlegeplatz fand. Aber warum war sie weg? Hatte sie Du’a mitgenommen? Und wann wollte sie wiederkommen – wenn überhaupt?
Und dann sah ich etwas auf der Uferböschung liegen, das halb von dem schlammigen Gras bedeckt war, als wäre jemand daraufgetreten. Was war das? Eine Halskette? Jedenfalls irgendein Schmuckstück, ein silbernes Kettchen mit grünen Glasperlen. Vielleicht hat Du’a es verloren, dachte ich – doch da bemerkte ich das Kruzifix am Ende der Kette.
»Das ist ja ein Rosenkranz.«
Joséphine kam näher. »Er gehört Reynaud«, sagte sie. »Ich habe ihn auf seinem Kaminsims liegen sehen. Warum war Reynaud hier? Meinst du, er hat mein Boot genommen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Ich habe eher Inès im Verdacht.« War sie vielleicht noch in Les Marauds? Und wenn ja, wusste sie dann, wo Reynaud steckte?
Ich fragte Maya, konnte aber nichts aus ihr herausbekommen. Sie machte sich nur Gedanken um Du’a, das verschwundene Boot war ihr egal. Aber Du’a war wichtig, vor allem wegen der Welpen, die sie und die anderen in der alten Chocolaterie aufzogen.
Joséphine hob eine Augenbraue. »Was höre ich da?«
Maya schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Ich hätte es nicht verraten dürfen«, stöhnte sie. »Schnappi und Beißer heißen sie. Wir verstecken sie, weil Monsieur Acheron sie ertränken will.«
»Meinst du, Du’a ist noch dort?«
Joséphine zuckte die Achseln. »Einen Versuch ist es jedenfalls wert.«
7
Donnerstag, 26. August
Die Chocolaterie sah von außen ziemlich übel aus. Dicke Plastikfolie bedeckte die Tür, die Fenster und einen Teil des Dachs. Auf einem Holzschild an der Tür standen grob gepinselt die Worte GEFAHR . BETRETEN VERBOTEN .
Drinnen herrschte allerdings hektische Betriebsamkeit. Alle waren da: Luc Clairmont, Jeannot Drou, Anouk, Rosette, Pilou und überraschenderweise sogar Alyssa, außerdem Vlad, eine Trittleiter, mehrere Eimer Wandfarbe, Schwämme, Farbroller, Pinsel und der Karton mit den Welpen. Gemeinsam hatten die Kinder es geschafft, den größten Teil der Küche, des Flurs und des ehemaligen Ladens in einem fröhlichen Schlüsselblumengelb zu streichen. An einer Wand entdeckte ich die Anfänge einer Wandmalerei – ein abstraktes Kringelmuster, in dem sich verschiedene Tiere verbargen, ganz ähnlich wie im Café des Marauds. Der kreative Kopf der Aktion war eindeutig Pilou, aber auch die anderen arbeiteten eifrig mit und verteilten die Farbe nebenbei großzügig auf ihren Kleidern und auf Vlad, der sich begeistert beteiligte, allerdings kein besonderes Geschick an den Tag legte.
Als wir eintraten, erstarrten alle. Nur Vlad bellte los, weil er eine Freundin erkannt hatte.
Luc klärte uns auf. »Ich habe gesagt, ich würde ein bisschen am Haus arbeiten. Die Schäden ausbessern. Dann hab ich das hier vorgefunden.« Er zeigte auf Pilou und die Welpen. »Ich dachte, wenn sie schon mal hier sind, können sie sich auch nützlich machen. Also hab ich ein bisschen Handwerkszeug mitgebracht und …« Er grinste verlegen. »Der Rest ging irgendwie ganz schnell.«
»Das sieht man«, sagte ich, während ich den überschwänglichen Vlad zu bremsen versuchte.
Pilou gab zu, dass Vlad eher ein Hindernis als eine Hilfe war, aber er vertrat die These, dass man dringend einen Wachhund brauchte, um die Baustelle zu beschützen.
»Und, wie gefällt es dir?«, fragte Anouk. Sie stand neben Jeannot Drou. Beide waren über und über mit Farbe bekleckert. Auf Jeannots T-Shirt prangten gelbe Handabdrücke, und Anouk hatte einen ähnlichen Abdruck quer über der Wange. »Haben wir das nicht gut gemacht, Maman?«
Zuerst brachte ich kein Wort heraus. Dass ich das Haus so wiedersah: bunt gestrichen, wenn auch nicht gerade fachmännisch, erfüllt von Leben, Stimmen, die Schatten und ihr Geflüster ausgetrieben durch das fröhliche Gelächter –
Böse Geister, weicht von hier. Ich lächelte Anouk an.
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