Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Schablonenschrift verziert. Als Priester bin ich bemüht, die Glaubensinhalte anderer Religionen ernst zu nehmen, und ich tat, was ich konnte, um der Gemeinde von Les Marauds zu vermitteln, wie sehr ich ihre Arbeit bewunderte. Bereitwillig bot ich meine Unterstützung an.
Trotzdem hatte sich etwas verändert. An irgendeinem Punkt unserer Debatte wurde der alte Mahjoubi fast trotzig. Er war schon immer ein sturer alter Mann und gab sich andererseits immer ganz locker, weshalb man oft nicht genau sagen konnte, ob er scherzte oder nicht. Sein Sohn Saïd war insgesamt wesentlich ernsthafter veranlagt, und ich fragte mich gelegentlich, ob es für Les Marauds nicht besser wäre, wenn der Vater zurückträte und die Entscheidungsgewalt dem Sohn überließe.
Vielleicht spürte das der alte Mahjoubi. Jedenfalls wurde sein Verhalten mir gegenüber immer schroffer. Wenn ich nach Les Marauds kam (ich gehe auch heute noch jeden Tag dahin, schon aus Pflichtgefühl), ließ Mahjoubi es sich nicht nehmen, irgendeinen Spruch zu machen. Seine Bemerkungen waren nicht böse gemeint, davon bin ich überzeugt, aber andere Leute hätten sicher anders reagiert.
»Da kommt Monsieur le Curé«, sagte er zum Beispiel mit seinem dicken Akzent. »Gibt’s am anderen Flussufer nicht genug Sünder? Oder wollen Sie sich uns anschließen? Wissen Sie inzwischen, wie man kif raucht? Oder ist Ihr Weihrauch berauschend genug?«
Alles durchaus im Rahmen, ich weiß. Und trotzdem hatte sein Ton etwas Angriffslustiges. Seine Anhänger fingen an, es ihm gleichzutun, und bevor ich es so richtig merkte, hatte sich Les Marauds in feindliches Terrain verwandelt.
Tja – wann haben die Veränderungen begonnen? Schwer zu sagen. Es ist so, als würde man eines Tages in den Spiegel schauen und plötzlich erste Anzeichen des Älterwerdens entdecken, Falten um die Augen, und am Kinn wird die Haut auch schon etwas schlaff. Jedenfalls zogen ein paar neue Leute hierher, und es kam zu Reibungen innerhalb der Gemeinde – nichts Dramatisches, nichts, was bei näherem Hinsehen mein Unbehagen gerechtfertigt hätte. Und doch genügte es offenbar, père. Wie das Laub beim Wechsel der Jahreszeiten, so veränderten sich die Farben von Les Marauds. Immer mehr junge Mädchen begannen Schwarz zu tragen und hijabs, die wie bei den Nonnen die Haare und den Hals vollständig bedecken. Die Kaffeevormittage wurden immer seltener. Caro Clairmont hatte sich mit einer der regelmäßigen Besucherinnen überworfen, und danach kamen die übrigen auch nicht mehr so oft und schließlich gar nicht mehr. Saïd Mahjoubi vergrößerte sein Gym am Ende des Boulevard P’tit Baghdad. Es war zwar immer noch kein riesiges Fitness-Studio, sondern nur ein kahler Raum mit ein paar Gewichten, einem Whirlpool und einigen Laufbändern, aber es entwickelte sich zum Treffpunkt der jungen Männer aus Les Marauds.
Das liegt mehr als fünf Jahre zurück. Seither ist die Gemeinde ziemlich gewachsen. Es stießen immer mehr Leute dazu – hauptsächlich Verwandte, die sich ihren Familien anschließen wollten. Letztes Jahr hat Sonia, die Enkelin des alten Mahjoubi, einen Mann namens Karim Bencharki geheiratet, der mit seiner verwitweten Schwester und deren Kind nach Lansquenet gezogen war. Saïd Mahjoubi bewunderte Karim, der zwölf Jahre älter ist als Sonia und in Tanger ein Stoffgeschäft besessen hatte. Ich war mir in meiner Einschätzung nicht so sicher. Ich kenne Sonia seit ihrer Kindheit – nicht besonders gut, aber wir haben uns oft unterhalten. Sie und ihre Schwester Alyssa waren kluge, aufgeweckte, kontaktfreudige Mädchen, die am Wochenende sogar mit Luc Clairmont und seinen Freunden Fußball spielten. Nach der Hochzeit veränderte sich Sonia komplett. Sie trug nur noch Schwarz, ihren Plan zu studieren gab sie auf. Ich habe sie vor ein paar Wochen auf dem Markt gesehen. Sie war von Kopf bis Fuß verschleiert, aber ich habe sie trotzdem erkannt.
Ihr Ehemann war dabei, ebenso die Schwägerin. Sonia stand zwischen den beiden und sah immer noch aus wie ein Kind.
Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen. Die Gemeinde von Les Marauds gehört nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Mohammed Mahjoubi ist ihr Imam – an ihn wenden sich die Gemeindemitglieder, wenn sie Rat und eine Orientierungshilfe brauchen. Aber ich musste dauernd an das Mädchen denken, ob ich wollte oder nicht. Wie sehr sie sich verändert hatte! Ihre jüngere Schwester ist dieselbe geblieben – auch wenn die Fußballspiele der
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