Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
stammten.
Sie waren selbstverständlich alle Muslime. Miteinander redeten sie Arabisch und die Berbersprache, sie besuchten die große Moschee in Bordeaux und fasteten während des Ramadan. Ihr Oberhaupt und Imam war Mohammed Mahjoubi, ein siebzigjähriger Witwer, der mit seinem ältesten Sohn Saïd, dessen Frau, ihrer Mutter und Saïds halbwüchsigen Töchtern Sonia und Alyssa zusammenwohnte.
Mohammed Mahjoubi war ein einfacher Mann mit einem langen weißen Bart und schalkhaft blitzenden Augen. Man sah ihn oft auf seiner Veranda am Tannes sitzen und lesen. Dazu aß er gesalzene Pflaumen, deren Steine er in den Fluss spuckte. Sein Sohn Saïd leitete das Gym, ein kleines Fitness-Studio, während die Schwiegertochter den Haushalt führte und sich um ihre alte Mutter kümmerte. Die Enkeltöchter schafften mühelos den Spagat zwischen zwei Welten: In der Schule trugen sie Jeans und langärmelige Blusen, zu Hause aber die traditionelle Kleidung, und die Haare bedeckten sie mit bunten Kopftüchern.
Überhaupt war in der Anfangszeit alles dort voller Farbe: der Markt, die Läden, die ausgestellten Lebensmittel und die Ballen aus Seide. Der Boulevard des Marauds hatte zwar einen prachtvollen Namen, war aber ziemlich schmal, eine einspurige Straße, die quer durch den Slum von Lansquenet führte. Das Kopfsteinpflaster hatten Generationen von Flusszigeunern entwendet, und jetzt überließen die Stadtratsmitglieder die Straße dem Verfall, weil sie fanden, dass die vorhandenen Geldmittel lieber für unseren Teil der Gemeinde verwendet werden sollten.
Die Maghrebiner schien das nicht weiter zu stören. Viele von ihnen hatten vorher in den Slums der Großstädte oder in baufälligen Häusern gelebt. Sie fuhren in uralten Rostlauben durch die Gegend, ohne Bremsen, ohne Versicherung. Der Zustand der Straße war ihnen gleichgültig. Am Anfang hatten die jungen Menschen jede Menge Kontakt mit unseren Jugendlichen, die Jungs spielten auf dem Marktplatz gemeinsam Fußball, die Mädchen schlossen in der Schule Freundschaft. Ein paar ältere Frauen lernten Pétanque spielen – sie machten ihre Sache erstaunlich gut und schlugen unsere Spieler immer wieder. Die Maghrebiner gehörten zwar nicht richtig zu Lansquenet, aber sie waren auch keine Außenseiter, und viele Leute hier waren der Ansicht, dass sie durchaus etwas zu unserem Dorfleben beitrugen – sie brachten ein bisschen frischen Wind in unsere Welt, einen Hauch Fremdheit, eine gewisse Exotik, etwas, was in den anderen bastides an Garonne und Tannes fehlte.
Manche blieben den Fremden gegenüber zwar misstrauisch – Louis Acheron zum Beispiel –, doch den meisten gefiel es, dass Les Marauds zu neuem Leben erwachte. Vor allem Georges Clairmont freute sich. Er bekam vom Stadtrat massenhaft Geld, weil die Sanierungsmaßnahmen großzügig subventioniert wurden, und machte noch zusätzliche Gewinne, indem er an allen Ecken und Enden sparte. Die Neuankömmlinge merkten es ja nicht, wenn er Kiefer statt Eiche verwendete oder nur drei Schichten Tünche auftrug statt fünf. Seine Frau Caro freute sich über das zusätzliche Einkommen und tat so, als würde sie den schockierenden Zustand der Straße nicht wahrnehmen. Und die Maghrebiner waren zu Beginn sehr umgänglich. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Joséphine Muscat immer massenhaft süßes Gebäck aus dem Laden oben am Boulevard anschleppte – der Besitzer war Medhi Al-Djerba, geboren und aufgewachsen in der Altstadt von Marseille, ein Mann mit einem dicken südfranzösischen Akzent –, und dieses Gebäck servierte sie dann den Gästen in ihrem Café. Einmal wollte sie sich mit ein paar Dutzend Weinflaschen erkenntlich zeigen und war tief enttäuscht, als sie herausfand, dass die Neuankömmlinge keinen Alkohol anrührten. (Später haben wir herausgefunden, dass das nicht ganz stimmt; Medhi Al-Djerba trinkt gerne ab und zu ein Schlückchen, aber natürlich nur aus medizinischen Gründen, und ein paar der jüngeren Männer schlichen sich früher manchmal ins Café des Marauds.) Also brachte Joséphine ihnen statt Wein lieber Blumenkästen mit Geranien für ihre Fensterbretter, und im Sommer leuchteten die Straßen von Les Marauds nun scharlachrot. Ich erinnere mich an die Fußballspiele zwischen unseren Jungs und den Maghrebinern. Die Väter kamen, um zuzuschauen, alle blieben auf ihrer Seite des Platzes, und am Ende des Spiels reichte man einander feierlich die Hand. Ich habe auch nicht vergessen, dass Caro Clairmont für
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