Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
sehen möchte.«
Ja, natürlich! Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. »Ihr Haus steht leer. Es gehört immer noch dem jungen Clairmont. Er will es nicht verkaufen, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er dort einzieht.«
Vianne überlegte. »Meinen Sie, er würde uns erlauben, dort zu wohnen? Nur ein paar Tage, länger bleiben wir nicht. Wir könnten uns um das Haus kümmern, alles putzen, den Garten in Schuss bringen.«
Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht.«
»Gut«, sagte sie.
Einfach so. Damit war die Sache entschieden. Fast, als wäre sie nie weg gewesen. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen – dabei bin ich kein Mensch, der gern und oft lächelt.
Ich sagte: »Schauen Sie sich das Haus wenigstens vorher richtig an. Sie wissen doch gar nicht, ob es bewohnbar ist. Vielleicht ist es einsturzgefährdet.«
»Es ist nicht einsturzgefährdet.«
Garantiert hatte sie recht. Luc Clairmont würde das Haus seiner Großmutter niemals verfallen lassen. Ich kapitulierte und ergab mich in das Unabänderliche.
»Sie hat den Schlüssel immer unter einem Blumentopf auf der Terrasse versteckt. Da liegt er bestimmt auch heute noch«, sagte ich.
Ich wusste nicht, ob ich sie ermuntern sollte hierzubleiben, aber der Gedanke, Vianne Rocher wieder in Lansquenet zu haben, zumal in diesen schwierigen Zeiten, erschien mir beinahe unwiderstehlich.
Vianne wirkte nicht weiter überrascht. Vielleicht ist ihr Leben immer so: Die Lösungen ihrer Probleme bieten sich von selbst an, wie Freier, die um ihre Gunst werben. Mein Leben ist immer so kompliziert und verwickelt, eine Qual, wie eine Kugel aus Stacheldraht, die sticht, egal, in welche Richtung man sie dreht. Ob ich mich bei diesem kleinen Zwischenspiel wohl verletzen werde? Höchstwahrscheinlich ja.
Vianne Rocher lächelte mich an.
»Ach, da ist noch etwas …«, begann sie.
Ich seufzte.
»Mögen Sie Pfirsiche?«
11
Sonntag, 15. August
Les Marauds. Dort fangen die Probleme an. In Les Marauds, wo alles begonnen hat. Hier habe ich Armande kennengelernt, als ich an ihrem kleinen Haus vorbeiging. Alle Probleme haben hier ihren Ursprung. Die Flussratten machten hier ihre Boote fest, Anouk spielte mit Pantoufle am schilfbestandenen Ufer des Tannes. Und hierher hat Armande mich geschickt. Ich habe es nur nicht gleich begriffen.
Neben meinem Haus steht ein Pfirsichbaum. Wenn Du im Sommer kommst, müssten die Früchte reif sein.
Es stimmte – ein uralter Pfirsichbaum, mit Gliedmaßen, die vom Alter schon halb verkalkt waren, und sonnenverbrannten dolchförmigen Blättern. Und Armande hatte recht gehabt: Die Früchte waren reif. Ich pflückte drei Pfirsiche. Sie waren noch warm von der Sonne und ganz flauschig, wie der Kopf eines Babys. Ich gab erst Anouk einen Pfirsich, dann Rosette. Den dritten reichte ich Reynaud.
Pfirsichduft erfüllte die Luft, ein schläfrig sanftes Aroma, das wunderbar zum Sommerende passte und in der Luft einen Glanz hinterließ, wie das letzte Leuchten des Sonnenuntergangs.
Armandes kleines Haus lag auf einer Anhöhe, etwas abseits vom Rest von Les Marauds. Von dort oben konnten wir auf den Fluss hinunterschauen. Die Lichter des Boulevards schimmerten im Wasser wie Glühwürmchen. Wir hörten schon die leisen Geräusche des Abends – Stimmen, das Klappern von Töpfen und Pfannen, Kinder, die in den Hinterhöfen spielten. Vom Ufer meldeten sich Grillen und Frösche, während die Vögel nach und nach verstummten.
Anouk fand den Schlüssel für die Hintertür genau da, wo Armande ihn immer deponiert hatte, aber die Tür war gar nicht verschlossen, wie viele Türen in Lansquenet. Gas und Strom sind abgeschaltet, aber es gibt ja noch Armandes alten Herd, falls wir kochen wollen, und einen Holzstapel hinter dem Haus. In den Schränken befinden sich Bettwäsche und Wolldecken, zitronengelb, rosé, cremeweiß und blau. In Armandes Zimmer steht ein Doppelbett, in dem Zimmer oben ein Gitterbett, und außerdem gibt es im Wohnzimmer noch ein Sofa. Ich habe schon in wesentlich schlechteren Unterkünften geschlafen.
»Mir gefällt es hier«, sagte Anouk.
»Bam«, stimmte Rosette zu.
»Dann sind wir uns ja einig«, sagte ich. »Wir übernachten heute hier, und morgen früh reden wir mit Luc.«
Reynaud hielt seinen Pfirsich immer noch in der Hand und wirkte überhaupt gehemmt und befangen. Sein Anstandsgefühl ist so ausgeprägt, dass er lieber im Straßengraben schlafen würde als in einem leeren Haus ohne die offizielle Erlaubnis des
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