Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Besitzers. Und was die Pfirsiche betrifft, so waren sie seiner Meinung nach zweifellos gestohlen, und er musterte mich mit dem gleichen Unbehagen, wie Adam im Paradies Eva angeschaut haben muss, als sie ihm die verbotene Frucht anbot.
»Wollen Sie Ihren Pfirsich denn nicht essen?«, fragte ich. Anouk und Rosette hatten ihre Pfirsiche genüsslich verschlungen. Mir fiel auf, dass ich Reynaud erst einmal im Leben hatte essen sehen – für ihn ist Essen eine schwierige Angelegenheit, die ihm irgendwie Angst einjagt, er kann sich nicht einfach daran erfreuen.
»Hören Sie, Mademoiselle Rocher …«
»Bitte. Sagen Sie doch einfach Vianne zu mir.«
Er räusperte sich. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir nicht die auf der Hand liegende Frage stellen«, sagte er. »Aber ich glaube, Sie sollten wissen, dass ich bis auf weiteres von meinen Pflichten als Priester von Lansquenet freigestellt bin, wegen der anhängigen Ermittlungen zum Brand in der alten Chocolaterie.« Er atmete tief durch, dann fuhr er fort: »Ich muss Ihnen bestimmt nicht sagen, dass ich in keiner Weise dafür verantwortlich bin. Ich wurde nicht verhaftet. Es wurde auch keine Anklage gegen mich erhoben. Die Polizei war nur da, um mir Fragen zu stellen. Aber für einen Mann in meiner Stellung …«
Ich konnte mir die Szene lebhaft vorstellen. Durch die Fensterläden genauestens beobachtet. Die Klatschtanten von Lansquenet hatten an dem Tag viel zu tun! Der Laden halb abgebrannt. Die Feuerwehr eine Stunde zu spät. Der Polizeiwagen vor der Kirche. Oder sogar noch schlimmer – vor Reynauds Haus, seinem winzigen Häuschen in der Rue des Francs Bourgeois, mit den ordentlichen kleinen Ringelblumenbeeten.
Das Häuschen gehört selbstverständlich der Kirche. Die Ringelblumen fallen in Reynauds Zuständigkeitsbereich. Auf ihre Art haben sie viel Ähnlichkeit mit dem Löwenzahn, aber für Reynaud besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen dem hinterhältigen, aufdringlichen Unkraut und den hübschen gelb-orangefarbenen Blümchen, die so militärisch korrekt wachsen.
»Sie brauchen es mir nicht zu sagen. Ich weiß, dass Sie das Haus nicht in Brand gesteckt haben.«
Sein Mund zuckte. »Wenn sich da nur alle Leute so sicher wären. Caro Clairmont verbreitet Gerüchte ohne Ende, und gleichzeitig tut sie immer so mitfühlend. Und sie klebt regelrecht an den Lippen meines Nachfolgers.«
»Ihres Nachfolgers?«
»Père Henri Lemaître. Er ist der neue Schoßhund des Bischofs. Ein Streber mit zu vielen Zähnen und einer Vorliebe für PowerPoint.« Er zuckte die Achseln. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Sie wissen ja, wie die Leute in Lansquenet sind.«
Ja, allerdings. Ich bin selbst einmal Opfer des Tratsches geworden und weiß, wie schnell sich Gerüchte verbreiten. Außerdem ist mir klar, dass man in dem gegenwärtigen Klima jeden Hinweis auf einen Skandal im Zusammenhang mit der Priesterschaft ernst nehmen muss. In der katholischen Kirche hat es in letzter Zeit genügend Skandale gegeben, und selbst wenn der Polizei keine Indizien vorliegen, die zu einer Anzeige führen, kann Reynaud durch den Richterspruch der öffentlichen Meinung verurteilt werden.
Er holte noch einmal tief Luft. »Mademoiselle Rocher, vielleicht können Sie, falls Sie noch länger hierbleiben, Ihre … Ihre Zweifel vorbringen, wenn Sie mit Ihren Freunden hier in der Gemeinde sprechen, die sich offenbar über die Situation amüsieren. Joséphine, Narcisse …«
Er unterbrach sich abrupt und schaute weg. Ich musterte ihn mit wachsender Verwunderung. Die eisige Präzision seiner Worte war immer noch so deutlich spürbar wie früher, aber sein Gesicht drückte etwas ganz anderes aus. Auf seine indirekte, verhuschte Art und Weise bat Francis Reynaud um Hilfe.
Ich kann mir vorstellen, wie schwer ihm das fallen muss. Nach allem, was hier vorgefallen ist, sich selbst einzugestehen, dass er jemanden braucht – und dann ausgerechnet jemanden wie mich.
Reynauds Welt ist schwarzweiß. Er meint, die Dinge damit zu vereinfachen. Im Grunde bewirkt so ein Schwarzweißdenken aber nur, dass sich das Herz verhärtet und die Vorurteile sich verfestigen. Die blinden Gutmenschen merken gar nicht, welchen Schaden sie damit anrichten. Und wenn etwas geschieht, was ihre Weltsicht in Frage stellt, wenn sich das Schwarzweißdenken schließlich in eine Million grauer Zwischentöne auflöst, dann kommen Menschen wie Reynaud ins Schleudern und greifen nach einem Strohhalm, mitten in einem
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