Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
feiner Dunst, genau wie über dem Tannes.«
Das Blitzen verschwand unter dem Schleier der langen Wimpern.
»Du musst uns unbedingt besuchen, Guillaume.«
»Ach, für Paris bin ich zu alt.« Er lächelte. »Und Patch ist es gewohnt, erster Klasse zu reisen.«
Guillaume Duplessis gehörte zu den wenigen, die Reynaud nicht für schuldig halten. »Das ist doch nur ein gemeines Gerücht«, sagte er. »Warum soll Reynaud eine Schule abfackeln?«
Joline Drou war fest davon überzeugt, dass sie die Wahrheit kannte. »Ihretwegen natürlich!«, sagte sie. »Wegen dieser Burka-Frau, der Frau in Schwarz.«
Anouk und Rosette waren hinaus ins Freie gegangen und klopften mit zwei alten Besen den staubigen Teppich. Jolines Sohn Jeannot leistete ihnen dabei Gesellschaft. Jeannot ist ungefähr so alt wie Anouk, und ich erinnere mich gut an ihn. Er und Anouk waren in den Tagen der alten Chocolaterie gute Freunde, trotz seiner nervigen Mutter.
»Was hat es mit ihr auf sich?«, fragte ich.
Joline runzelte die Stirn. »Anscheinend ist sie verwitwet. Sie ist die Schwester von Karim Bencharki. Ich kenne Karim, er ist sehr nett. Er arbeitet im Fitness-Studio in Les Marauds. Aber sie ist total anders als er. Aggressiv. Unnahbar. Die Leute sagen, ihr Mann hat sich von ihr scheiden lassen.«
»Soll das heißen, du weißt es nicht?«
Joline ist eine der Oberklatschbasen hier. Wie kann es sein, dass sie nicht längst alles Wissenswerte über die Frau in Erfahrung gebracht hat?
Sie zuckte die Schultern. »Du hast ja keine Ahnung. Die Frau redet mit niemandem. Sie ist überhaupt nicht wie die anderen Maghrebiner. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie Französisch spricht.«
»Und du hast nie versucht, es herauszufinden?«
»So einfach ist das gar nicht«, erwiderte Joline. »Wie willst du eine Person ansprechen, die nie ihr Gesicht zeigt? Wir waren früher mit einigen Frauen aus Les Marauds richtig gut befreundet. Caro hat eine ganze Gruppe von ihnen immer zu sich zum Kaffee eingeladen. Die Leute denken, wir sind hier auf dem Land, aber es ist alles total multikulti. Du würdest staunen, Vianne. Ich esse sogar Couscous. Das ist nämlich echt gesund, musst du wissen, und es macht überhaupt nicht dick, auch wenn man das vielleicht denken würde.«
Ich verkniff mir ein Grinsen. Joline Drou und Caro Clairmont glauben, sie würden Teil einer Kultur, weil sie Couscous essen. Ich malte mir aus, wie diese Kaffeetreffen bei Caro abliefen, die Gespräche, das Gebäck, das Porzellan, das Silberbesteck, die Canapés. Die gutgemeinten Diskussionen, die eine entente cordiale fördern sollten. Bei der Vorstellung schauderte mich innerlich.
»Und, was ist passiert?«
Joline verzog das Gesicht. »Sie kommen nicht mehr, seit diese Frau hierhergezogen ist«, sagte sie. »Die bringt nur Ärger. Bei ihrem Schleier fühlen sich die Leute unwohl. Aber dann haben die Frauen einen regelrechten Wettstreit angefangen, Karims Schwester hat sozusagen eine neue Mode angezettelt. Auf einmal haben alle sich verschleiert. Na ja, vielleicht nicht ganz alle, aber du weißt schon, was ich meine. Und dieser Schleier treibt die Männer offenbar in den Wahnsinn. Weil sie sich dauernd ausmalen, was darunter ist. Das kurbelt total ihre Phantasie an. Und Reynaud fand den Schleier natürlich unmöglich. Er steckt sowieso in der Vergangenheit fest und hat keine Ahnung, wie man sich in einem multikulturellen Frankreich verhält. Du hast ja sicher schon gehört, was für ein Aufstand das war mit der Moschee. Und erst mit dem Minarett! Und als dann die Frau die Schule aufgemacht hat …« Joline schüttelte den Kopf. »Da ist er einfach durchgedreht. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es wäre ja nicht das erste Mal.«
»Wie viele Schülerinnen hatte die Schule?«, fragte ich.
»Ach, ein gutes Dutzend, würde ich mal schätzen. Weiß der Himmel, was die Frau den Mädchen beigebracht hat.« Sie zuckte geringschätzig die Schultern. »Diese Burka-Frauen wollen nichts mit uns zu tun haben. Sie glauben, wir verderben sie mit unserer lockeren Moral.«
Oder sie haben es einfach satt, dass man sie von oben herab behandelt und ansonsten nichts kapiert, dachte ich, sagte aber nichts.
»Hat sie nicht auch eine Tochter?«, erkundigte ich mich.
Joline nickte. »Ja, das arme kleine Ding. Spielt mit keinem. Redet mit keinem.«
Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Anouk und Jeannot spielten Schwertkampf mit den Besen, während Rosette sie mit ihrem Getute anfeuerte. Weil wir so lange durch
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