Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
sollte meine Freundin nicht belauern. Aber der Wunsch, die Wahrheit herauszufinden, ist einfach zu stark. Joséphine hat ein Geheimnis, das mit aller Kraft an die Oberfläche drängt. Die Frage ist allerdings, ob ich erfahren möchte, was sie verbirgt. Sollte ich die Vergangenheit lieber ruhen lassen, um meines inneren Seelenfriedens willen?
10
Donnerstag, 19. August
Ich verbrachte den ganzen Tag im Garten und versuchte, die Szene in der alten Chocolaterie heute Morgen zu vergessen. Ich hatte schon Luc Clairmont mitgeteilt, dass er nicht, wie vereinbart, vorbeizukommen brauche, die Bencharki wolle die Renovierung selbst übernehmen. Ich merkte ihm an, dass er sich ausrechnete, was vorgefallen war.
Diese verdammte Frau. Dieser verdammte Junge. Inzwischen weiß wahrscheinlich das gesamte Dorf Bescheid. Dann wird es nicht mehr lang dauern, bis Père Henri Lemaître alles erfährt und es dem Bischof brühwarm weitererzählt. Und was kommt dann? Man wird mich offiziell suspendieren und in eine andere Gemeinde versetzen. Werde ich mich gezwungen sehen, die Kirche für immer zu verlassen?
Und so buddelte ich den ganzen Tag herum, in der glühenden Sonne. Alle paar Stunden machte ich eine Pause und trank ein kaltes Bier, aber obwohl ich körperlich extrem müde war, kam mein Kopf am Abend immer noch nicht zur Ruhe.
Ich schlafe nicht gut zurzeit. Ehrlich gesagt habe ich noch nie in meinem Leben gut geschlafen. Aber es wird immer schwieriger, und oft wache ich um vier oder fünf Uhr morgens auf, schweißgebadet und total gerädert. Manchmal hilft es, wenn ich mich körperlich anstrenge, aber diesmal rasten meine Gedanken weiter und drehten sich im Kreis, obwohl mir vor Erschöpfung alle Knochen weh taten.
Um ein Uhr morgens beschloss ich, nicht länger auf den Schlaf zu warten. Ich konnte genauso gut durch die Gegend laufen. Vielleicht hatte ich mehr Bier getrunken, als gut war – jedenfalls tat mir der Kopf weh. Die Nachtluft war kühl und einladend.
Schnell zog ich mich an, T-Shirt, Jeans. (Ja, ich habe Jeans, für die Gartenarbeit, fürs Angeln und für andere handwerkliche Tätigkeiten.) Niemand würde mich sehen. Das Café war geschlossen. Außerdem stehen in Lansquenet die Leute früh auf und gehen auch dementsprechend früh ins Bett.
Es war dunkel draußen. Straßenlaternen sind in Lansquenet eine Seltenheit. In Les Marauds gibt es gar keine, aber auf der anderen Seite der Brücke waren noch ein paar Fenster erhellt. Nicht viele, aber mehr, als ich erwartet hätte. Vielleicht gehen diese Menschen spät schlafen.
Ich strebte auf die Brücke zu. Am Fluss ist es nicht so warm, aber es gibt dort eine Steinbrüstung, die die Wärme der Sonne noch lange hält. Aus dem Fluss unter der Brücke ertönte eine Abfolge kurzer, klarer Geräusche, fast rhythmisiert, wie die Töne eines komplizierten Musikinstruments.
Ich blieb stehen und überlegte, ob ich die Brücke überqueren sollte oder nicht. In Les Marauds bin ich nicht willkommen, das hat Karim Bencharki mir mehr als deutlich zu verstehen gegeben. Und trotzdem zieht es mich dorthin. Vielleicht liegt das am Fluss.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch vom anderen Ufer des Tannes. Ein lautes Platschen, wie wenn ein Baumstamm ins Wasser gestürzt wäre. Mein Kopf funktionierte noch nicht wieder so ganz, und ich konnte wegen der Dunkelheit kaum etwas sehen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass es ein Mensch sein musste.
Ich rief: »Ist da jemand?«
Keine Antwort. Vielleicht ging ja irgendjemand spätabends noch schwimmen, ein Maghrebiner, der nicht wollte, dass ich mich einmischte. Aber vielleicht hatte auch ein Kind zu nah am Wasser gespielt!
Ich rannte zum anderen Ende der Brücke, wo der Tannes am tiefsten ist. In meinem benommenen Zustand fragte ich mich, ob ich mir das Ganze vielleicht nur eingebildet hatte. Doch dann sah ich undeutlich ein Gesicht auftauchen, das gleich wieder verschwand.
Schnell zog ich die Schuhe aus und sprang von der Brücke. Ich bin ein erfahrener Schwimmer. Aber trotzdem blieb mir in dem kalten Wasser die Luft weg, und ich japste atemlos, als ich wieder auftauchte. Die Strömung, die von oben aus ziemlich schwach ausgesehen hatte, stellte sich als überraschend stark heraus und drohte mich in die Tiefe zu ziehen. Außerdem trug der Fluss alles Mögliche mit sich – Äste, Blätter, Plastikflaschen und Plastiktüten, Zigarettenkippen und sonstigen Müll.
Ich hielt den Atem an und folgte der Strömung. Von der Gestalt, die ich
Weitere Kostenlose Bücher