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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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paar Stunden. Um den Rest kümmern wir uns morgen.«
    Reynaud zögerte. »Aber … Sie wissen doch nicht mal, wer das Mädchen ist.«
    »Spielt das eine Rolle?«, fragte ich.
    Er warf mir einen seiner eisigen Blicke zu. Doch dann lächelte er plötzlich. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich das je sagen würde. Aber ich bin wirklich froh, dass Sie hier sind, Mademoiselle Rocher.«
    Dann wandte er sich um und ging, mit steifen Schritten, ein bisschen verlegen. Alle anderen hätten nur eine langweilige, unsympathische Gestalt gesehen, die da leicht humpelnd den Steinweg hinunterging (er war barfuß), um dann in der Nacht zu verschwinden. Aber ich sehe mehr. Ich sehe das Herz, auch das verborgene Herz. Ich sehe mehr, und hinter Reynaud schwebten tanzende Regenbogen.

Der Weiße Autan

1

    Donnerstag, 19. August
    Ich brauchte bis vier Uhr früh, um Armandes Dachkammer für unseren Überraschungsgast herzurichten. Das ist ein winziges, fast dreieckiges Zimmer, in das mit knapper Not eine schmale Liege passt. Aber es ist sauber und gemütlich: Im Scheitelpunkt des Dreiecks befindet sich ein kleines Fenster mit Blick über Les Marauds, und man kann den Pfirsichbaum riechen.
    Anouk war aufgewacht, als sie im Flur Stimmen hörte. Rosette hingegen schlief weiter. Sie schläft immer gut, egal, was ist. Wir ließen sie in Ruhe. Ich bezog das Bett, und Anouk machte eine Tasse heiße Schokolade, mit Kardamom und Lavendel und Baldrian, der unserer Besucherin beim Einschlafen helfen sollte.
    Gewaschen und in ein altes Flanellnachthemd gehüllt, das einmal Armande gehört hatte, die langen Haare sorgfältig gekämmt und getrocknet, sah das Mädchen sogar noch jünger aus. Sechzehn, vielleicht siebzehn, mit dunkelbraunen Kaffeeaugen, die das halbe Gesicht auszufüllen schienen. Sie trank die Schokolade, weigerte sich aber immer noch, etwas zu sagen. Inzwischen zitterte sie zwar nicht mehr, aber manchmal zuckte sie zusammen wie eine träumende Katze. Sie interessierte sich irgendwie für Anouk, und ich ließ die beiden alleine, weil ich dachte, das Mädchen würde vielleicht lieber mit jemandem reden, der etwa in ihrem Alter war, aber auch das half nichts. Schließlich schlief sie vor dem Feuer ein, während Anouk das Wiegenlied sang, das meine Mutter immer für mich gesungen hatte:
    V’là l’bon vent, v’là l’joli vent –
    Ich trug das Mädchen nach oben in ihr Zimmer. Sie war extrem leicht in meinen Armen, sogar noch leichter als Rosette, und genau wie ein Kind wachte sie gar nicht auf, als ich sie ins Bett legte. Anouk hatte tausend Fragen, die ich alle nicht beantworten konnte, und nach einer Weile gelang es mir, sie dazu zu überreden, ins Bett zu gehen und zu schlafen. Anouk schläft immer mühelos ein, bei mir ist das anders. Ich machte mir eine große Tasse Kaffee und nahm sie mit nach draußen. In dieser Jahreszeit dämmert es schon früh, und der Himmel begann bereits zu leuchten, als ich mich auf Armandes Gartenmauer setzte, meinen Kaffee trank und auf die Geräusche des erwachenden Viertels horchte.
    Hähne, Gänse, wilde Enten auf dem Tannes, die Rufe kleiner Vögel. Die Kirchturmuhr schlug fünf Mal, sehr klar in der Morgenluft, und dann folgte, genauso entfernt, aber auch genauso klar, der Ruf des Muezzins, der am neunten Tag des Ramadan die Gläubigen zum Gebet aufforderte.
    Um neun Uhr kam Reynaud. Um Punkt neun, als hätte er die Uhrzeit abgewartet, zu der er es sozial vertretbar fand, bei uns zu klopfen. Ganz in Schwarz und ohne seinen Kragen. Die Haare akribisch nach hinten gekämmt. Ich fand, dass er müde aussah. Wahrscheinlich hatte er die ganze Nacht kein Auge zugetan.
    Ich machte ihm einen Kaffee. Er trank ihn schwarz und im Stehen. Die Sonne schien schon angenehm warm, so dass die Rosen, die Armandes kleinen Garten füllen, ihren Duft verströmten. Sie wucherten über den Weg und über die Spaliere hinweg. Seit acht Jahren hatte niemand sie geschnitten, sie waren mehr oder weniger verwildert, aber ihr Duft war geblieben, eine zauberhafte Mischung aus Türkischem Honig und frisch gewaschenen Laken im Wind. Einen Moment lang schwieg ich, um Reynaud die Möglichkeit zu geben, das Rosenaroma zu genießen, aber er war ungeduldig und gereizt. Ich glaube, er nimmt sich nie die Zeit, irgendwo zu sitzen und den Duft der Rosen einzuatmen.
    »Und? Hat sie etwas gesagt?«, fragte er schließlich.
    »Nein. Kein Wort.«
    Jetzt erzählte er mir die ganze Geschichte: wie er das Mädchen aus dem Tannes gerettet hatte

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