Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
du irgendwas gesehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Mm-mm.«
»Wieso sagst du es dann?«
»Meine Freundin hat mir gesagt, es ist ein arabisches Wort.«
»Deine Freundin?«
»Du’a. Sie hat da gewohnt, bevor es gebrannt hat.«
Ich musterte den Jungen verblüfft. Wie eigenartig, dass ein Junge wie er – immer den Hund an der Seite, im Dorfcafé zu Hause, garantiert ein »schlechter Einfluss«, in jedem Sinn des Wortes – ausgerechnet mit der Tochter von Inès Bencharki befreundet ist.
»Und was bedeutet das Wort?«
Pilou zuckte die Achseln und kniete sich hin, um die improvisierte Leine besser am Halsband seines Hundes zu befestigen. »Es ist kein besonders nettes Wort«, sagte er. »Du’a sagt, es heißt Hure.«
6
Samstag, 21. August
Endlich ein Zeichen dafür, dass in den Straßen von Les Marauds nicht alles in Ordnung ist. Ich hatte es mir ja schon gedacht, als ich neulich Saïd vor dem Gym gesehen habe, aber jetzt ist das Gerücht endlich freigesetzt, und es wispert wie leiser Regen:
Hast du schon gehört?
Hast du schon gehört?
Ich habe es zuerst von Omi Al-Djerba gehört, der ich begegnet bin, als ich mit Rosette über die Brücke nach Lansquenet ging. Sie begrüßte mich mit einem kurzen Lachen und winkte mich zu sich.
»Alles hier wird verrückt«, sagte sie mit ihrer heiseren Stimme. »Spürst du das auch? Es ist der Wind. Der Wind macht die Leute verrückt.«
Sie lächelte Rosette zu, und man konnte ihr rosarotes Zahnfleisch sehen. »Das hier ist deine Kleine, stimmt’s? Mag sie Kokosmakronen?« Sie holte eine aus der Tasche ihres reichbestickten Kaftans. »Schmeckt sehr fein. Wir backen sie für Ramadan.« Sie gab Rosette den Keks und steckte sich dann schnell selbst einen in den Mund. »Das zählt nicht«, versicherte sie mir, als sie mein erstauntes Gesicht sah. »Es ist nur ein bisschen Kokos. Außerdem bin ich zu alt, um den ganzen Tag zu fasten.« Sie zwinkerte Rosette zu. »Bismillah!«
Rosette blies die Backen auf und gab durch Zeichen zu verstehen: Affen essen auch gern Kokosnuss.
»Ja, natürlich«, sagte Omi, die Rosette offenbar genau verstanden hatte. »Hier ist noch eine Makrone für deinen kleinen Freund.«
Rosette lachte krächzend und mit vollem Mund. Omi zupfte an ihren ringelblumengelben Haaren. »Die Leute sagen, Alyssa Mahjoubi ist von zu Hause weggelaufen«, sagte sie.
»Wer sagt das?«
»Die ganzen Flatterzungen. Ihre Mutter behauptet, sie liegt krank im Bett, aber seit drei Tagen hat kein Mensch sie gesehen, und Reema Bouzana sagt, dass sie das Mädchen am Mittwoch um Mitternacht das letzte Mal gesehen hat, ganz allein war sie angeblich unterwegs in Richtung Dorf.«
»Wirklich?«
»Klar, Frauen tratschen. Und Reema war immer neidisch auf Mahjoubi. Tja, sie hat auch eine Tochter – die ist fünfundzwanzig und immer noch unverheiratet und hat eine Zunge, so scharf wie ein Küchenmesser, während Ismailas Tochter sich den bestaussehenden Mann in ganz Lansquenet geangelt hat …« Omi warf mir einen komischen Blick zu. »Aber Alyssa war schon immer ruhelos, und Sonia sagt kein Wort. Vielleicht ist es ja alles nur heiße Luft, Inshallah.«
Ich schaute sie an. »Das glauben Sie allerdings nicht.«
Sie lachte. »Jedenfalls habe ich Ismaila Mahjoubi noch nie so viel herumlaufen sehen. In der Regel ist sie zu eingebildet, um auch nur auf den Markt zu gehen. Na ja, vielleicht will sie ein bisschen abnehmen. Oder sie will eins dieser leerstehenden Häuser am Fluss kaufen. Oder sie versucht, das Mädchen zu finden, bevor es einen Skandal gibt.«
»Aber warum sollte Alyssa weglaufen?«
Omi zuckte die Achseln. »Wer weiß? Diese Mädchen. Sie sind alle miteinander verrückt. Aber nun ist Saïd für die Moschee zuständig, und wenn seine Töchter ausgerechnet jetzt anfangen wollen, sich durchzusetzen, ist das nicht gerade ein günstiger Zeitpunkt.«
»Saïd ist für die Moschee zuständig?«
»Hee, wusstest du das gar nicht?« Omi griff gedankenverloren in ihre Tasche und holte noch eine Makrone heraus. »Seit der Ramadan angefangen hat. Die Leute haben sich beschwert und gesagt, dass der alte Mahjoubi langsam wirklich zu alt wird. Er macht viele Fehler, er erzählt in der Moschee Geschichten, die gar nicht im Koran stehen, er stimmt nicht mit der jetzigen Richtung überein. Das ist ja vielleicht alles richtig«, sagte sie und schob sich die Makrone in den Mund, »aber ich vertraue eher einem weisen alten Mann als einem Mann mit lauter Doktortiteln, und ich glaube,
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