Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Entschluss, nicht mehr weiterleben zu wollen?«
Zuerst dachte ich, sie würde nicht antworten. Dann begann sie zögernd: »Jemand hat einmal zu mir gesagt: Wenn der Ramadan kommt, öffnen sich die Pforten zum Paradies, und die Pforten der Hölle schließen sich, die Teufel werden in Fesseln gelegt. Das heißt, wenn man im Ramadan stirbt …«
Sie redete nicht weiter und schaute weg.
»Dann kommt man nicht in die Hölle?«, fragte ich.
»Für Sie klingt das wahrscheinlich verrückt.«
»Weil ich keine Muslima bin? Na ja, ich bin auch keine Christin, und ich glaube nicht an die Hölle. Aber ich halte dich nicht für verrückt. Ich denke nur, dass du traurig und verwirrt bist.«
Alyssa seufzte.
»Ist schon gut. Dir erscheint die Situation vielleicht hoffnungslos, aber es gibt immer eine Lösung. Ich verspreche dir, dass wir sie finden. Du bist nicht allein.«
Sie nickte zaghaft. »Aber Sie dürfen es keinem Menschen sagen«, murmelte sie. »Keinem aus meiner Familie. Überhaupt niemandem. Versprechen Sie mir das?«
»Ja, das verspreche ich dir.«
Sie setzte sich an den Tisch und fuhr mit den Fingerspitzen die Rillen im Holz nach. Der Wind draußen wurde immer heftiger, und die alten Balken begannen zu knarren und zu knarzen. Der Wind macht, dass Rosette viel redet. Hoffentlich hat er eine ähnliche Wirkung auf Alyssa.
»Du kannst mir alles sagen«, ermunterte ich sie. »Egal, was es ist, ich wette, ich habe schon Schlimmeres erlebt.«
»Schlimmeres?«
Ich dachte an all die Orte, an denen ich schon war, an die vielen Jahre des Reisens. Im Lauf der Zeit habe ich so viel erlebt: Meine Mutter ist gestorben, ich habe viele Freunde verloren, ich musste unendlich viele alltägliche Grausamkeiten erdulden – und ich habe auch genauso viele kleine Liebesbeweise erfahren.
Ich habe gesehen, wie die Sonne über Bergen aufgeht, auf die kein Mensch je einen Fuß setzt, und wie sie untergeht über Städten, in denen jeder Millimeter von Menschen besetzt ist, die sich gegenseitig bedrängen und bis aufs Blut bekämpfen. Ich habe Kinder geboren. Ich habe geliebt. Ich habe mich unglaublich verändert. Ich habe Menschen in kleinen Gassen sterben sehen, ich habe gesehen, wie andere unter den unwahrscheinlichsten Umständen überleben. Ich habe Glück und Dunkelheit und Trauer erlebt, und ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass das Leben ein Mysterium ist, dass Leben Veränderung bedeutet. Meine Mutter hat dafür immer das Wort »magisch« verwendet, und das heißt: Im Leben ist alles möglich.
Ich fing an, Alyssa davon zu erzählen. Es ist gar nicht so leicht, das alles in Worte zu fassen. Zum ersten Mal, seit ich hier bin, habe ich Sehnsucht nach meiner Chocolaterie, nach dem Duft schmelzender Schokolade, dem Silbertopf auf dem Tisch, den Bechern, der Vertrautheit, die ein Gespräch ohne Worte ermöglicht. Ich will Alyssas Glauben nicht in Frage stellen. Aber der Ramadan bremst mich. Ich kann ihr nicht die Art von Trost anbieten, mit der ich mich am besten auskenne: ein Stückchen Schokolade, das auf der Zunge zergeht, die Magie der Kindheit, das Allheilmittel.
Plötzlich ein Geräusch, ein Kratzen an der Fensterscheibe. Vielleicht ein Zweig im Wind. Aber als ich hinschaute, sah ich ein Gesicht, das durch die halbgeschlossenen Fensterläden spähte, eine kleine Nase, an die Scheibe gedrückt, zwei große dunkle Augen, die vor Staunen noch größer wurden –
Es war Maya.
8
Samstag, 21. August
Alyssa war sofort nach oben geflohen, als das Kindergesicht am Fenster erschien. Aber Maya hatte sie schon gesehen. Zu spät, um irgendeine Geschichte zu erfinden. Ich machte die Tür auf.
»Maya«, sagte ich.
Sie lächelte zu mir hoch. Der Weiße Autan war in ihren Augen, in ihren zerzausten Haaren, in den geröteten Wangen. Sie trug einen Overall und ein T-Shirt mit Gänseblümchenmuster. Unter den Arm hatte sie ein gestricktes Spielzeug geklemmt, das vielleicht mal eine Katze gewesen war oder ein Hase, aber es war sehr geliebt worden, und darunter hatte es sichtlich gelitten.
»Du hast gesagt, ich kann mit deiner kleinen Tochter spielen.«
»Ja, mit Rosette«, sagte ich. »Sie ist draußen. Soll ich sie rufen?«
Sie spähte an mir vorbei in die Wohnung. »Ich hab meine Cousine Alyssa bei dir gesehen.«
Ich nickte.
»Versteckt sie sich?«
»Ja.«
»Warum?«
Ich schaute ihr in die Augen. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Mmm-hmm. Darf ich es Omi verraten?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein,
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