Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Gespräch mit Simon Cussonet vertieft. Jeder ignoriert mich auf seine Art. Louis Acheron tut verächtlich, Joline Drou scheint es zu bedauern, bleibt aber hart. Georges Clairmont macht einen dümmlichen Eindruck, als hätte er ein schlechtes Gewissen, und Caro triumphiert insgeheim.
Jeder weiß doch, dass er’s war. Beweise gibt es keine, aber trotzdem …
Meint ihr, dass er weggeht von hier?
Ach, natürlich. Es ist nur eine Frage der Zeit. Er war doch schon immer schwierig. Erinnert ihr euch noch, als Vianne Rocher …
Psst! Seid still, da kommt er.
Sie gehen an der Brücke vorbei in Richtung Kirche, die Köpfe gesenkt wegen des Windes. Das Wetter schlägt wieder um. Der Himmel war blau, jetzt ist er grau und trüb. Ich höre ihre Stimmen, der Wind trägt sie mir zu, wie ein Echo des Glockengeläuts:
Er sieht ganz anders aus ohne seine Soutane.
Was macht er da, warum glotzt er so?
Der Autan hat ihn wahrscheinlich um den Verstand gebracht.
Na gut, Caro, vielleicht stimmt das ja. Aber endlich fühle ich mich vollkommen leer – als hätte der Wind alles weggefegt. Ich habe immer gedacht, ich würde hier gebraucht, und egal, was passiert, Lansquenet ist und bleibt mein Königreich, meine Pfarrgemeinde, meine Zuflucht, mein Zuhause. Die Leute haben mich Vater genannt. Und jetzt …
»Mon père?« Eine Stimme hinter mir. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Joséphine geht nicht in die Kirche. Ich weiß, warum. Im Gegensatz zu Caro Clairmont hat sie nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie mich nicht leiden kann, also ist es doppelt absurd, dass ausgerechnet sie jetzt auf mich zukommt und mir etwas anbietet.
Vielleicht hat sie Mitleid mit mir. Großartig. Das hat mir gerade noch gefehlt. Dass Joséphine Bonnet Mitleid mit mir hat und mich aufliest wie einen streunenden Hund.
Ich drehte mich um. Sie lächelte mir zu. »Ich dachte, Sie könnten eine Tasse Kaffee vertragen.«
»Sehe ich so schrecklich aus?
Sie zuckte die Achseln. »Sie haben schon besser ausgesehen. Hören Sie, ich habe einen Apfelkuchen gebacken. Wollen Sie ein Stück probieren? Geht aufs Haus.«
Ich biss die Zähne zusammen. Klar, sie meint es gut. Sie hat keinen Grund, mich zu mögen oder mir Mitgefühl entgegenzubringen, und kümmert sich trotzdem um mich, Caro und ihren giftigen Freundinnen zum Trotz. Von allen Leuten hier, die ich gekränkt habe, hätte ich das bei Joséphine am wenigsten erwartet, und wider Erwarten war ich richtig gerührt.
»Das ist sehr nett von Ihnen.«
Ich folgte ihr. Nicht ganz wie ein Hund, aber ich fühlte mich schon ziemlich erniedrigt. Der Bischof wäre bestimmt mit meiner Haltung einverstanden gewesen. Aber Vianne Rocher hätte über eine solche Ironie des Schicksals laut gelacht.
Joséphine servierte mir den Kuchen mit Schlagsahne, und in den Kaffee gab sie einen kräftigen Schluck Cognac. Mit ihrem runden Gesicht und den kurzen blonden Haaren hat sie eigentlich keine Ähnlichkeit mit Vianne Rocher, aber irgendwie erinnert mich ihr Stil an Vianne. Ihre Art, ruhig abzuwarten und nur mit den Augen zu lächeln. Ich aß meinen Kuchen. Ich war hungriger, als ich erwartet hatte. In den letzten Tagen hatte ich so gut wie keinen Appetit gehabt.
»Heute Abend bin ich bei Vianne zum Essen eingeladen«, sagte sie. »Haben Sie vielleicht Lust mitzukommen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, danke.«
»Ich würde mich sehr freuen.«
Jetzt musterte ich sie misstrauisch. War das eine Falle, wollte sie mich noch mehr demütigen? Aber sie sah nicht so aus, als würde sie sich über mich lustig machen. Im Gegenteil, sie wirkte besorgt, drehte die Hände unruhig im Schoß hin und her, so wie früher, bevor Vianne Rocher hierherkam. Damals stand Joséphine – seinerzeit noch Muscat – genauso am Rand der Gesellschaft wie ich jetzt. Eine traurige, stumme Frau, die mir jede Woche bei der Beichte von ihren kleptomanen Neigungen erzählte, so wie Paul-Marie mir beichtete, dass er sie regelmäßig misshandelte.
Vielleicht hat sie mich deswegen immer gehasst. Weil ich ihr Geheimnis kannte. Weil ich als Einziger wusste, dass ihr Mann sie schlug, und weil ich ihm gestattete, sich dafür mit ein paar Ave-Maria freizukaufen. Seither geht sie nicht mehr in die Kirche. Gott hat sie nicht beschützt. Noch wichtiger: Ich habe sie nicht beschützt. Doch mir waren die Hände gebunden durch das Beichtgeheimnis.
Irgendwie war die alte Joséphine wieder da – oder mindestens ihr Geist. Sonst sieht sie immer so
Weitere Kostenlose Bücher