Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
selbstbewusst aus, dass niemand außer mir die Wahrheit ahnen kann. Aber jetzt – die tiefe Falte zwischen den Augen, die Art, wie sie nach links schaut, während sie mit mir redet, wie ein Kind, das lügt. Etwas belastet sie, was sie gern beichten würde, dachte ich, und irgendwie hängt das Ganze mit Vianne Rocher zusammen.
»Joséphine«, begann ich. »Es ist sehr nett, dass Sie mich eingeladen haben, aber ich muss wirklich nicht gerettet werden. Weder von Vianne noch von Ihnen. Ich kann gut für mich selbst sorgen.«
Sie blinzelte unsicher. »Glauben Sie, ich habe Sie deswegen eingeladen?«
Diese Frage meinte sie ganz ehrlich. Irgendetwas quälte Joséphine, und das hatte wenig mit mir zu tun oder mit meiner momentanen Lage.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte ich sie schließlich. »Haben Sie sich mit Vianne gestritten?«
»Oh nein! Sie ist meine beste Freundin.«
»Was ist es dann?« Ich sprach sehr sanft mit ihr und viel freundlicher, als ich zum Beispiel mit Caro Clairmont geredet hätte. »Warum wollen Sie Vianne nicht sehen?«
»Ich will sie sehr gern sehen«, sagte sie. »Aber … die Menschen verändern sich.« Sie seufzte tief. »Ich möchte Vianne nicht enttäuschen.«
»Aber warum sollten Sie sie enttäuschen?«
»Wir hatten so wunderbare Pläne, sie und ich. Und sie hat mir so viel geholfen. Ich habe ihr unendlich viel zu verdanken, und dann …« Sie schaute mich flehentlich an. »Curé, würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Was Sie wollen.«
»Es ist acht Jahre her, dass ich das letzte Mal in der Kirche war. Irgendwie hat es sich nicht mehr richtig angefühlt. Aber jetzt sind Sie hier, und ich wollte Sie fragen, ob Sie … ob Sie mir die Beichte abnehmen können.«
Da war ich doch etwas überrumpelt. Ich zögerte. »Bestimmt würde Père Henri …«
»Père Henri kennt mich nicht«, entgegnete sie. »Und überhaupt sind wir ihm doch alle egal. Für ihn sind wir nicht mehr als ein zusätzliches Dorf, das er betreut, eine weitere Stufe auf der Leiter nach Rom. Aber Sie sind schon immer hier, mon père.«
»Nicht ganz«, erwiderte ich trocken.
»Würden Sie es trotzdem tun?«
»Warum ich?«
»Weil Sie Verständnis haben. Weil Sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sich schämt.«
Schweigend trank ich meinen Café Cognac aus. Sie hat natürlich recht. Ich weiß das nur zu gut. Scham ist die Skylla zur Charybdis Stolz. Die Scham begleitet mich seit vielen Jahren. Ihre Stimme meldet sich in meinem Herzen, erinnert mich an meine Fehler, aber der Stolz steht daneben, mit seinem Flammenschwert, und versperrt mir den Weg zur Vergebung.
Zwei Wörter. Vergib mir. Mehr ist gar nicht nötig. Und doch habe ich sie noch nie über die Lippen gebracht. Nicht im Beichtstuhl, nicht bei einem Verwandten, nicht gegenüber einem Freund. Nicht einmal beim Allmächtigen selbst –
»Würden Sie das tun, mon père?«
»Ja, natürlich.«
10
Sonntag, 22. August
Maya kam heute Vormittag wieder vorbei, um Alyssa bei der Marmelade zu helfen. Eine chaotische halbe Stunde verbrachten Rosette und sie damit, die Gläser mit Etiketten zu versehen und diese zu gestalten – Rosette malte wie immer Kaninchen, Affen und fliegende Schlangen, Maya fabrizierte etwas weniger routinierte, aber dafür umso üppigere Zeichnungen von verschiedenen Obstsorten, zum Beispiel Ananas, Erdbeeren und – etwas unpassend – auch Kokosnüsse (die sind für Omi, erklärte sie). Und dazu immer in Großbuchstaben das schöne Wort PIRSISCH, oder manchmal auch PIRSCH.
Für Kinder ist es leicht, Freundschaft zu schließen. Zuerst kreisen sie schüchtern umeinander wie neugierige kleine Tierchen. Die Sprache ist kein Hindernis, Kultur und Hautfarbe sind unwichtig. Rosette berührt vorsichtig das goldene Armkettchen an Mayas Handgelenk. Maya hingegen ist fasziniert von Rosettes Locken. Nach fünf Minuten ist die anfängliche Befangenheit verflogen. Rosette macht Zeichen und plappert in ihrer eigenen Sprache, Maya, die alles zu verstehen scheint, betrachtet sie mit strahlenden Kulleraugen.
Ich sehe, dass Bam, neugierig wie immer, den Neuankömmling begutachtet. Heute kann ich ihn deutlich erkennen – wie etwas, das man im Gegenlicht sieht. Langer Schwanz, ein Gesicht mit Schnurrhaaren, Augen, die gescheit blitzen. Maya sieht ihn ebenfalls, glaube ich, aber sie ist ja auch erst fünf.
Nachdem die beiden mit den Etiketten fertig waren, gingen sie zum Spielen nach draußen. Anouk verabschiedete sich ebenfalls, weil sie mit Jeannot
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