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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Drou verabredet war, also übernahmen Alyssa und ich die Aufgabe, die Marmelade in die Gläser zu füllen. Alyssa war schon den ganzen Vormittag sehr schweigsam, ihr Gesicht blieb leer und ausdruckslos, und auf meine Versuche, sie ein bisschen aufzumuntern, ging sie nicht ein.
    Vielleicht liegt es daran, dass Joséphine heute Abend zum Essen kommt. Die Tatsache, dass Alyssa hier ist, macht es natürlich viel schwieriger, Gäste einzuladen, aber wenn ich unsere Verabredung so kurzfristig absage, würde das auch komisch wirken. Alyssa kann sich ja in ihrem Zimmer verstecken. Und außerdem habe ich meine Gründe, weshalb ich unbedingt mit Joséphine reden möchte.
    »Sie hat einen Sohn«, sagte ich. »Er ist schon acht, aber sie hat mir nie von ihm erzählt.«
    Alyssa wischte die Gläser mit einem feuchten Lappen ab, bevor ich sie verschloss. Jedes Glas wurde mit einem Stück Zellophanpapier zugedeckt, das ich mit einem Gummiband befestigte, und als sie dann alle nebeneinanderstanden, sahen sie aus wie Lampions, die golden leuchteten. Der Duft von erhitztem Zucker und Zimt lag wie ein zärtlicher Schleier über allem.
    »Wer hat einen Sohn?«, fragte Alyssa.
    Erst da merkte ich, dass ich laut gedacht hatte. »Meine Freundin«, antwortete ich. »Joséphine.«
    Meine Freundin. In gewisser Weise klang das für mich fast so fremd wie Zuhause. Freunde sind die Menschen, die man zurücklässt, das habe ich von meiner Mutter gelernt. Selbst jetzt verwende ich das Wort nur zögernd, als wäre es ein Flaschengeist, der freigelassen sehr gefährlich werden kann.
    »Was ist passiert?«, wollte Alyssa wissen.
    »Sie hat sich neu erfunden.«
    Ja, ich glaube, genau das ist es. Joséphine hat sich neu erfunden. Und warum auch nicht? Ich selbst bin ja eine Meisterin des Neuerfindens. Ich habe ihr meine Technik beigebracht. Und jetzt verstehe ich zum ersten Mal, warum meine Mutter niemals zurückblickte, warum sie nie an die Orte zurückkehrte, die sie geliebt hatte, und ich auch.
    »Das Problem mit den Menschen ist, dass sie sich verändern. Manchmal verändern sie sich so, dass man sie nicht wiedererkennt.«
    »Ist das bei Joséphine so?«
    Ich zuckte die Achseln. »Kann sein.«
    Der Kupferkessel war leer. Gemeinsam hatten wir jedes leere Glas im Haus gefüllt. Ich koche, wenn ich unruhig bin. Ich mag einfache Rezepte, die Zusammenstellung der Zutaten, das Wissen, dass es wunderbar schmecken wird, wenn ich mich an die Vorgaben halte. Wenn das nur beim Umgang mit den Menschen auch so wäre. Wenn nur das Herz so einfach wäre.
    »Was hat sie denn gemacht?«, fragte Alyssa und warf einen Blick in den Kupfertopf. Mit dem Finger fuhr sie am Rand entlang und wollte ihn ablecken, doch dann zögerte sie. »Ich meine, was heißt das, sie hat sich neu erfunden? Wie hat sie das gemacht?«
    Gute Frage. Als ich bei Joséphine vorbeigeschaut habe, hatte ich das Gefühl, dass sie sich ehrlich freut. Aber andererseits bin ich jetzt schon länger als eine Woche hier.
    »Schwer zu erklären«, sagte ich. »Viele Dinge sind gleich geblieben. Sie sieht zwar anders aus, sie hat sich die Haare abgeschnitten und blond gefärbt, aber untendrunter ist sie immer noch Joséphine, impulsiv und warmherzig und manchmal ein bisschen verrückt. Und trotzdem, irgendwas an ihr ist anders als früher …«
    »Vielleicht will sie etwas verstecken.«
    Ich musterte Alyssa fragend.
    »Manchmal, wenn man etwas verstecken muss, mag man nicht einmal mit seinen Freundinnen zusammen sein. Es ist nicht so, dass man sie nicht sehen will, aber man merkt, dass man nicht mit ihnen reden kann.« Jetzt steckte sie den Marmeladenfinger in den Mund und lutschte ihn ab. »Tja, jetzt habe ich das Fasten gebrochen. Was würde meine Mutter sagen, wenn sie das wüsste!«
    »Ich glaube, deiner Mutter wäre das ziemlich gleichgültig. Sie wollen doch alle nur, dass es dir gutgeht.«
    Alyssa schüttelte heftig den Kopf. »Sie kennen meine Mutter nicht. Die Leute denken, mein Vater ist streng, aber das stimmt nicht. Meiner Mutter wäre es lieber, ich bin tot, als dass ich Schande über die Familie bringe.«
    »Ich nehme an, mit ›Schande‹ meinst du nicht, dass du vor Sonnenuntergang einen Finger Marmelade probierst.«
    Alyssa lächelte unsicher. »Sie finden das bestimmt blöd.«
    Jetzt schüttelte ich den Kopf. »Nein, überhaupt nicht.«
    »Aber Sie glauben nicht an Religion.«
    »Da irrst du dich. Ich glaube an alles Mögliche.«
    »Sie wissen schon, was ich meine.«
    »Klar.« Ich setzte

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