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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Verlegenheit am liebsten im Erdboden versunken wäre. Diese Frau ist unmöglich. Ich kann tun und sagen, was ich will – es gelingt mir nicht, sie davon abzuhalten, sich in mein Leben einzumischen. Arnikasalbe, Pflaster, Mullbinden um meine Finger und um die Rippen.
    »Seit wann sind Sie eigentlich Krankenschwester. Aua!«
    »Still sitzen!«, ermahnte sie mich streng und fuhr dann fort: »Als ich mit Paul-Marie verheiratet war, habe ich schnell gelernt, wie man ein blaues Auge oder einen Knochenbruch behandelt. Würden Sie jetzt bitte Ihr Hemd ausziehen.«
    »Aber Joséphine!«
    »Ich habe gesagt, Sie sollen Ihr Hemd ausziehen, Monsieur le Curé. Oder wollen Sie, dass ich Dr. Cussonet hole und er die Neuigkeit im ganzen Dorf verbreiten kann?«
    Ich ergab mich, aber nur ungern. Als sie endlich fertig war, sagte sie: »So, das war’s. Besser?«
    Ich zuckte die Achseln. »Mir tut alles weh.«
    »Sie undankbarer Mensch!«, sagte sie und lächelte. (Habe ich schon erwähnt, dass sie mit den Augen lächelt?)
    »Vielen Dank, Joséphine«, sagte ich. »Ich bin froh, dass Sie mir helfen. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mit niemandem darüber reden würden. Ich bin dem Bischof gegenüber schon jetzt in einer extrem schwachen Position. Wenn er hört, was heute Nacht passiert ist …«
    Sie schaute mich an. »Ihr Geheimnis ist bei mir bestens aufgehoben. Ich kann Dinge gut für mich behalten.« Und mit einem übermütigen Grinsen beugte sie sich vor und küsste mich auf die Wange. Dann verschwand sie im Regen, wie ein Sommertraum.
    Vergib mir, Vater, ich habe gesündigt. Na, jedenfalls hätte ich gesündigt, wenn ich die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Vielleicht waren es die strapaziösen Ereignisse der vergangenen Nacht, vielleicht war es die Berührung ihrer Hände. Es ist lange her, mon père, dass eine Frau mich angefasst hat. Ich schäme mich, wenn ich daran denke, wie oft sie ihre Blessuren versteckt hat, so wie ich jetzt meine verstecke. Die Sonnenbrille an bewölkten Tagen. Mäntel und Jacken, die als Schutzpanzer dienten. Und immer wieder hat sie sich in ihrem Zimmer verkrochen, weil sie »Migräne« hatte, eine Migräne, die mehrere Tage dauerte.
    Hat sie mir deswegen geholfen, mon père? Weil sie weiß, wie man sich als Opfer fühlt und was Scham bedeutet? Ich habe ihre Güte nicht verdient. Ich wusste, dass Paul-Marie gewalttätig ist, aber solange er zur Beichte kam, konnte ich nichts tun. Ich konnte nicht eingreifen. Vianne Rocher hat sich eingemischt. Vianne Rocher, die mit dem Wind kommt und für uns alle den Wechsel einläutet …
    Dieser Wind. Weshalb weht er? Warum muss es Veränderung geben, mon père? Wir waren glücklich – na ja, jedenfalls waren die meisten ganz zufrieden. Weshalb soll denn alles anders werden?
    Der Weiße Autan bringt den Wahnsinn, heißt es, der Schwarze Autan bringt Chaos und Verzweiflung. Eigentlich glaube ich ja solche Ammenmärchen nicht. Aber irgendwie hat der Wind wieder gewechselt, und zum ersten Mal in meinem Leben, père, spüre ich seine dunkle Verlockung. Lansquenet hat mich verstoßen, auf beiden Seiten des Flusses. Die Kirche hat mich ebenfalls verstoßen – oder sie wird es demnächst tun. Da ist die Stimme des Windes besonders verführerisch. Der Wind reist mit wenig Gepäck, der Wind weht, wo er will …

3

    Dienstag, 24. August
    Dieses Regengeplatter will einfach nicht aufhören. Seit zwei Tagen gießt es in Strömen, das Wasser rauscht durch die Regenrinnen, läuft die Fensterscheiben hinunter, lässt die Luft ganz pixelig werden und hält uns im Haus gefangen. Der Schwarze Autan randaliert wie eine Verbrecherbande, reißt die Blätter von den Kastanienbäumen, stülpt die Regenschirme um, zerrt an Hüten, ruiniert Frisuren und zeichnet sein verrücktes Graffito in den Fluss.
    Anouk und Alyssa hören die ganze Zeit Musik oder sehen fern. Rosette malt wieder Affen. Das heißt, heute hat sie wieder mit Elefanten angefangen. Alle drei sind ganz friedlich, obwohl sie hier eingesperrt sind. Ich bin diejenige, die es nur schlecht aushält, ich schaue zum Fenster hinaus, sehe die Regentropfen die Scheiben hinablaufen und warte – aber worauf? Keine Ahnung.
    Heute Nachmittag bin ich zu Joséphine gegangen. Ich zog Armandes alten Regenmantel über und Gummistiefel an die Füße. Aber Joséphine war nicht im Café des Marauds, und Marie-Ange sagte mir, sie wisse nicht, wann sie wiederkomme. Die Straßen waren traurig und verlassen. Der Himmel war dunkel wie im

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