Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
November. Als ich an der Kirche vorbeikam, sah ich, dass die Tür der alten Chocolaterie schief in den Angeln hing. Sie gab triste Klappergeräusche von sich, wie Signale eines vergessenen Codes.
Bat-bat-bat. Bat-bat. Bat-bat.
Es ist nicht mehr mein Haus. Ich bin nicht dafür zuständig. Aber es gibt Geister in dem alten Haus, Geister, die jetzt dort herumspuken und beachtet werden wollen. Klar, ich weiß, wie man Geister bannt. Aber diese Geister hier, das sind wir: ich und Anouk, Roux, Reynaud und Joséphine. Und Armande, meine liebe alte Freundin mit dem süßen Apfelgesicht und den tausend Fältchen. Armande auf einem Barhocker, der lange schwarze Rock ein Stückchen hochgerutscht, so dass der Saum ihres knallroten Unterrocks sichtbar wird. Armande, die ihre Schokolade mit einem Zuckerstrohhalm trinkt. Armande, die mit Luc Gedichte liest, wenn Caro nicht da ist.
Ich schaute mich um. Der Platz war leer. Die Plastikplane, mit der das Dach abgedeckt ist, schlug gegen das Gerüst. Die Renovierungsarbeiten haben begonnen, aber bei diesem Wetter können sie nicht weitergehen. Also ist niemand dort, sagte ich mir. Das Haus ist leer, aber voller Magie, voller Geister.
Bat-bat-bat. Die Plane ist wie ein Augenlid, das mir aus einem offenen Grab zublinzelt. Komm herein, flüstert sie. Wir sind alle hier. Deine alten Freunde. Der Mann in Schwarz, deine Mutter, deine Vergangenheit. Und die Luft ist bitter wie Schokolade und süß vor Wehmut und Bedauern, wie Weihrauch. Versuch mich. Probier mich –
Ich trat hinein.
Jemand hat angefangen aufzuräumen. Der Schutt ist weg, die Wände sind abgewaschen, damit man sie neu streichen kann. Wenn ich aus einem bestimmten Winkel blicke, kann ich die Geister fast sehen – die Frau und ihre sechsjährige Tochter, die das leere Haus betreten, der graue Staubteppich, die Atmosphäre der Trauer und Vernachlässigung. Jetzt sieht es wieder genauso aus, und diesmal ist niemand da, der die Schatten mit einer Plastiktröte zerteilt oder mit einem Holzlöffel auf einen Topf schlägt und ruft: Böse Geister, weicht von hier!
Aber ich sehe natürlich vor mir, wie man das alles ändern könnte. Die Wände gelb streichen und mit blauen Schablonenmustern verzieren. Eine Theke, vielleicht ein paar Hocker. Die Luft riecht immer noch nach Rauch, jetzt abgestanden und feucht. Aber wenn man Fenster und Türen öffnet, wenn man ein bisschen Salbei anzündet und den Fußboden mit einer Mischung aus Natron und Lavendelöl schrubbt –
Böse Geister, weicht von hier. Das wäre wirklich gar kein Problem für mich. Ein Haus spiegelt seine Bewohner wider, und dieses hier erkennt mich. Es würde uns sofort wieder aufnehmen, wir könnten ohne Schwierigkeiten die Vergangenheit zurückholen.
Bat-bat.
Das Haus ist ruhelos. Es zuckt und rumort. Die Dielen knarzen, Türen knallen, kaputte Fensterscheiben flüstern. Und jetzt, oben im zweiten Stock, in dem Krähennest, in dem Anouk gewohnt hat – Schritte auf dem blanken Holz.
Das war kein Geist! Ich rief: »Ist da jemand?«
Stille. Und dann erschien ein Gesicht oben an der Leiter, die zu Anouks kleinem Dachzimmer führte. Ein kleines braunes Gesicht, schwarz umrahmt, mit großen angsterfüllten Augen.
»Habe ich dich erschreckt?«, fragte ich. »Das tut mir leid. Ich dachte nicht, dass jemand zu Hause ist. Ich habe früher hier gewohnt, vor vielen Jahren, bevor ihr hierhergekommen seid, du und deine Mutter. Ich hatte ein Pralinengeschäft. Vielleicht hat dir das schon mal jemand erzählt.«
Das Mädchen rührte sich nicht. Mit ihrem hijab sah sie aus wie ungefähr zwölf.
»Du bist bestimmt Du’a«, sagte ich. »Ich heiße Vianne. Ist deine Mutter da?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Da oben war früher das Zimmer meiner Tochter. Ist das kleine runde Dachfenster noch da, das aussieht wie ein Bullauge? Anouk hat nachts immer rausgeschaut und so getan, als wäre sie auf einem Piratenschiff.«
Du’a nickte zaghaft. Hinter ihr ein leises Rascheln. Und schon erschien Mayas Gesicht, süß wie ein Schokotaler.
»Es ist Vianne!«, rief sie. »Komm doch rauf zu uns. Wir haben schon gedacht, es ist Du’as memti.«
Ich schaute Du’a fragend an. »Darf ich?«
Du’a sah unentschlossen aus.
»Es ist okay«, sagte Maya. »Vianne kann ein Geheimnis für sich behalten. Sie kümmert sich schon ewig um Alyssa, und sie hat keinem was verraten. Komm rauf, Vianne!«
Ich kletterte die Leiter hoch, durch die Falltür. Es roch auch oben nach Rauch, aber insgesamt war
Weitere Kostenlose Bücher