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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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und mein Herz geriet ins Schlingern. Auf Roux ist Verlass, ermahnte ich mich. Dass er ausgerechnet jetzt anruft, wenn ich dringend Unterstützung brauche, ist typisch für ihn.
    Hastig suchte ich Schutz neben einer der alten Gerbereien. »Roux, wo warst du die ganze Zeit?«, rief ich. »Ich habe dir tausend Nachrichten aufgesprochen und …«
    »Ich hatte mein Handy verloren.« Ich konnte fast hören, wie er die Achseln zuckte. »War es was Wichtiges?«
    Am liebsten hätte ich gelacht. Was sollte ich da sagen? Wie konnte ich ihm meine Gedanken mitteilen, meine Ängste, meine wachsende Überzeugung, dass er gelogen und mir vier Jahre lang nur vorgemacht hat, wir könnten eine Familie sein?
    »Vianne?« Er klang misstrauisch. Aber am Telefon klingt er immer misstrauisch. Ach, wenn ich doch seine Augen sehen könnte. Oder noch besser, seine Farben.
    Ich sagte: »Ich habe mit Joséphine geredet. Sie hat einen Sohn. Das wusste ich gar nicht.«
    Schweigen.
    »Roux. Warum hast du mir das nie erzählt?«
    »Ich habe ihr versprochen, nichts zu sagen.«
    Bei ihm klingt das so einfach. Und doch, hinter dem Schleier der Wörter sehe ich tausend tanzende Schatten. »Weißt du, wer der Vater ist?«
    »Ich habe ihr versprochen, dir nichts zu sagen.«
    Ich habe es versprochen. Für Roux reicht das als Begründung aus. Die Vergangenheit hat für ihn keine Bedeutung. Ich weiß bis heute nur ganz vage, wo er herkommt, wer er ist. Er spricht nicht über solche Dinge. Vielleicht hat er ja alles vergessen. Genau das liebe ich an ihm – dass er sich nicht von der Vergangenheit beherrschen lässt. Aber das macht ihn auch gefährlich. Ein Mann ohne Vergangenheit ist wie ein Mann ohne Schatten.
    »Hast du ein Boot hiergelassen?«, fragte ich.
    »Ja. Ich habe es Joséphine überlassen.«
    Wieder diese Pause, als wäre zwischen uns eine Wand.
    »Du hast es Joséphine überlassen? Warum?«
    »Sie hat gesagt, dass sie wegwill«, antwortete er. Vorsichtig, leise. »Sie wollte eine Weile herumreisen, flussaufwärts fahren, die Welt sehen. Ich war ihr etwas schuldig, weil sie so viel für mich getan hat – ich habe doch im Winter bei ihr gewohnt, sie hat mir Arbeit gegeben und für mich gekocht. Also habe ich ihr das Boot geschenkt. Ich dachte, dass ich es nicht mehr brauche.«
    Jetzt sah ich alles deutlich vor mir, klar wie eine Wahrsagung mit Schokolade. Und das Schlimmste war, dass ich es vorher gewusst hatte, irgendwo an einem verborgenen Fleck tief in meinem Herzen, dort, wo meine Mutter mit mir spricht:
    Tja, du hast also gedacht, du könntest dich irgendwo niederlassen? Glaubst du, ich habe das nie versucht? Menschen wie wir tun das nicht, Vianne. Die Schatten, die wir werfen, sind zu lang. Wir versuchen, das bisschen Freude, das bisschen Licht, das wir haben, zu bewahren, und letzten Endes geht doch alles verloren.
    Er sagte: »Wann kommst du zurück?«
    »Weiß ich noch nicht. Ich muss noch etwas erledigen.«
    »Worum geht es?« Seine Stimme, so nah. Ich stellte mir vor, wie er auf dem Deck in der Sonne sitzt, vielleicht mit einer Dose Bier, dahinter die Seine wie ein Streifen Strand und die Silhouette des Pont des Arts schwarz vor dem Sommerhimmel. Ich sah es so deutlich wie in einem luziden Traum. Aber wie in vielen meiner Träume fühlte ich mich losgelöst von der Szene, ich entfernte mich von ihr. Ohne die Bewegung steuern zu können, schwebte ich rückwärts in die Dunkelheit.
    »Ich finde, du solltest nach Hause kommen«, sagte Roux. »Du hast gesagt, es wäre nur für ein paar Tage.«
    »Ich weiß. Ich bleibe nicht mehr lang. Aber es gibt hier …«
    »… etwas, was du erledigen musst, ja. Aber Vianne, es gibt immer etwas, was man erledigen muss. Und dann kommt das Nächste. Dieses verdammte Dorf ist einfach so. Und ehe du’s merkst, bist du ein halbes Jahr dort und suchst Stoff für Vorhänge aus.«
    »Das ist doch lächerlich«, entgegnete ich. »Ich bleibe höchstens noch zwei, drei Tage hier.« Mir fiel ein, dass ich Guy angerufen und Zutaten für Pralinen bestellt hatte. »Na ja, sagen wir mal, eine Woche«, korrigierte ich mich. »Und außerdem, wenn du mich vermisst, kannst du ja hierherkommen.«
    Pause. »Du weißt, dass das nicht geht.«
    »Warum nicht?«
    Wieder eine Pause, etwas länger diesmal. Ich spürte seine Frustration. »Warum vertraust du mir nicht?«, sagte er schließlich. »Wieso kann das Leben nie einfach sein?«
    Weil es nicht einfach ist, Roux. Weil der Fluss dich am Ende immer wieder nach Hause bringt,

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