Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
weiß, es regnet …«
»Das mache ich gern.« Ihre Stimme verriet nichts, aber ihre Augen schimmerten dankbar. »Ich hole gleich deinen Mantel. Er ist fast trocken.«
Als sie hinausging, sagte Fatima leise zu Omi: »Du bist viel zu hart mit dem Mädchen.«
Omi lachte gackernd. »Das Leben ist hart. Sie muss das kapieren. Sie ertrinkt ja in einem Wasserglas.«
»Jazakallah«, sagte ich lächelnd. »Und danke für die Gastfreundschaft. Das nächste Mal bringe ich Pralinen mit. Ich muss nur noch auf eine Lieferung mit Zutaten warten.«
An der Tür zog ich meine Schuhe wieder an. Zahra wartete schon mit meinem Mantel. »Man darf ihr nicht zuhören«, sagte sie mit ihrer seltsam tonlosen Stimme. »Sie ist alt. Und sie sagt immer, was sie denkt. Aber ihre Gedanken sind wie eine kaputte Schallplatte, immer das Gleiche.« Sie öffnete die Tür. »Es ist nicht weit. Lass uns gehen.«
In Les Marauds gibt es keine Hausnummern. Das gehört zu unseren Eigenarten. Selbst die Straßennamen sind nicht offiziell, obwohl sich das vielleicht bald ändert, wenn jetzt so viele Leute hier wohnen. Reynaud hat mir erzählt, Georges Clairmont möchte, dass der Ort zu einem historischen Kulturerbe erklärt wird (dessen wichtigster Bauherr natürlich er selbst ist), aber hier am Fluss haben wir zu viele Ortschaften wie Lansquenet, zu viele dieser hübschen kleinen bastides, zu viele alte Gerbereien, pittoreske Steinbrücken, mittelalterliche Galgen und Statuen von mysteriösen Heiligen. Deshalb interessieren sich unsere regionalen Behörden nicht besonders für eine Straße mit Fachwerkhäuschen, die der Fluss schon halb davongeschwemmt hat. Nur der Briefträger ärgert sich darüber, dass es hier keine Straßennamen und keine Hausnummern gibt. Und wenn jemand beschließt, eins der baufälligen Häuser gegen alle Bauvorschriften zu renovieren, gibt es niemanden, der das verhindert oder sich überhaupt darum schert.
Um mich zum Haus der Bencharkis zu bringen, hatte Zahra ihren niqab umgeschlungen. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Durch das Tuch wirkte sie kühner, selbstbewusster. Auch ihre Haltung hatte sich verändert. Während wir durch den Regen gingen, schaute sie mich an und sagte: »Warum möchtest du Inès kennenlernen?«
»Ich habe früher in ihrem Haus gewohnt.«
»Das ist kein besonders einleuchtender Grund.«
»Stimmt.«
»Du findest Inès faszinierend«, sagte sie. »Ich weiß das. So etwas merke ich. Und du bist nicht die Erste, der es so geht. Wir müssen uns alle irgendwie mit ihr auseinandersetzen. Als sie hierhergekommen ist und die Schule aufgemacht hat, fand es erst jeder gut. In der Dorfschule hatten wir nur Probleme. Diese Madame Drou wollte unbedingt das Kopftuch verbieten. Außerdem war Inès’ Bruder gut mit den Mahjoubis befreundet, und eine Weile ging alles gut.«
Wir waren am Ende des Boulevards angekommen. Die Häuser dahinter waren alle verfallen und unbewohnt. Das letzte der bewohnten Häuser hatte eine rote Tür.
»Da wohnen die Mahjoubis. Karim und Sonia leben auch dort.«
»Und Inès?«
»Sie wohnt nicht mehr bei ihnen.«
»Warum nicht? Haben sie nicht genug Platz?«
»Nein, das ist nicht der Grund«, sagte Zahra. »Aber egal, jetzt wohnt sie da drüben.« Sie deutete zu ein paar Feigenbäumen am Flussufer, wo ein alter Landungssteg über ein Geflecht aus Baumwurzeln führt. An dieser Stelle haben die Flussratten früher ihre Boote festgemacht, als sie noch jedes Jahr hierherkamen. Und jetzt sah ich es: ein Hausboot, tief im Wasser und schwarz gestrichen, durch die Bäume vor Blicken geschützt.
»Sie wohnt in dem Boot?«, fragte ich.
»Sie hat es sich geliehen. Es war schon da.«
Ja, klar. Ich kenne das Boot. Zu eng für zwei Erwachsene, aber für eine Frau und ein Kind reicht es gerade. Solange sie nicht zu viel Platz brauchen oder zu viele Habseligkeiten mitbringen.
Für Inès Bencharki war das sicher kein Problem. Aber –
»Was ist mit Du’a?«, wollte ich wissen.
»Meistens kümmern wir uns um sie. Sie passt oft auf die kleine Maya auf. Manchmal ist sie auch bei Inès. Zum iftar kommt sie immer zu uns.«
»Aber wieso lebt Inès in einem Boot?«
»Sie sagt, da fühlt sie sich sicher. Außerdem gehört es anscheinend keinem.«
So konnte man es auch sagen. Der eigentliche Besitzer war seit vier Jahren nicht mehr hier. Aber warum hat Roux sein Boot dagelassen, wenn er nicht vorhatte zurückzukommen?
Es sei denn, es war nicht für ihn gedacht, sondern für jemand
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