Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
Vom Netzwerk:
hat, obwohl sie alles tut, um sie zu verbergen.
    Rosette saß auf dem Boden, malte und sang immer noch ihr kleines Lied ohne Text vor sich hin. Bam-bam-bammm … bambadda-bammmm  …
    »Komm, Rosette. Es ist Zeit für deinen Mittagsschlaf.«
    Rosette blickte nicht von ihrer Zeichnung auf. Ihr Gesang wurde ein bisschen lauter, begleitet von rhythmischem Klopfen mit dem Fuß. Bam-bam-bamm
    »Auf geht’s, Rosette«, sagte Yanne sanft. »Wir räumen deine Stifte weg.«
    Immer noch keine Reaktion.
    » Bam-bam-bamm … Bam-badda-bammm –« Gleichzeitig gingen ihre Farben von einem Chrysanthemengelb in ein strahlendes Orangerot über. Sie lachte und streckte die Hand aus, als wollte sie fallende Blütenblätter fangen. » Bam-bam-bamm … Bam-baddabamm  …«
    »Pssst, Rosette!«
    Und jetzt spürte ich die Spannung in Yanne. Es war mehr als die Verlegenheit einer Mutter, deren Kind nicht gehorcht – eher das Gefühl, als drohe eine Gefahr. Sie hob Rosette hoch, die immer noch vor sich hin brabbelte, warf mir einen etwas ratlosen Blick zu und zog eine Grimasse.
    »Sie müssen entschuldigen«, sagte sie. »So benimmt sie sich immer, wenn sie übermüdet ist.«
    »Kein Problem. Sie ist entzückend«, sagte ich.
    Ein Becher mit Bleistiften kippte von der Theke. Die Stifte rollten über den Fußboden.
    »Bam!«, rief Rosette und deutete auf die heruntergefallenen Stifte.
    »Ich muss sie ins Bett bringen«, sagte Yanne. »Sie wird völlig überdreht, wenn sie keinen Mittagsschlaf macht.«
    Ich schaute mir Rosette noch einmal an. Sie sah überhaupt nicht müde aus, fand ich. Ihre Mutter hingegen wirkte erschöpft, bleich und ausgelaugt mit ihrer viel zu strengen Frisur und dem billigen schwarzen Pullover, der sie noch blasser machte.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt.
    Sie nickte.
    Die Glühbirne über ihr begann zu flackern. Diese alten Häuser, dachte ich. Immer sind die Leitungen halb kaputt.
    »Wirklich? Sie sehen blass aus.«
    »Ach, ich habe nur Kopfschmerzen. Ich schaff das schon.«
    Den Satz kenne ich. Aber ich glaube ihr nicht; sie klammert sich an das Kind, als könnte ich es ihr wegnehmen.
    Könnte ich das? Ich war zweimal verheiratet (allerdings in beiden Fällen nicht unter meinem richtigen Namen), und ich habe noch nie den Wunsch verspürt, ein Kind zu bekommen. Es gibt endlose Komplikationen, habe ich gehört, und außerdem kann ich mir bei meinem Beruf keine zusätzlichen Belastungen aufbürden.
    Und doch –
    Ich malte das Kaktuszeichen des Xochipilli in die Luft, achtete aber darauf, dass Yanne meine Hand nicht sehen konnte. Xochipilli ist der Prinz der Blumen, der Gott der Prophezeiung und des Traums. Nicht, dass ich mich besonders für Wahrsagerei interessiere. Aber unvorsichtiges Reden kann von Nutzen sein, habe ich gemerkt, und für Menschen wie mich sind Informationen jeder Art die Währung, in der sie bezahlen.
    Das Symbol leuchtete und schwebte ein paar Sekunden in der Luft, bevor es sich wie ein silberner Rauchring in Luft auflöste.
    Zuerst passierte gar nichts.
    Ich hatte, ehrlich gesagt, auch keine besondere Wirkung erwartet. Aber ich war neugierig. Und schuldete Yanne mir nicht einen kleinen Gefallen, nachdem ich mich so um sie bemüht hatte?
    Also machte ich das Zeichen noch einmal. Xochipilli der Flüsterer, der Enthüller von Geheimnissen, der Überbringer von Geständnissen. Und diesmal übertraf die Wirkung alle meine Erwartungen.
    Zuerst sah ich, wie ihre Farben wieder aufflammten. Nur kurz, aber dafür extrem hell, wie eine Flamme, der man plötzlich Sauerstoff zuführt. Fast gleichzeitig schlug ganz abrupt Rosettes Laune um. Sie war nicht mehr sonnig und süß, sondern warf sich in den Armen ihrer Mutter nach hinten und stieß lautes Protestgewimmer aus.
    Mit einem zischenden Plopp erlosch die flackernde Glühbirne über uns, und gleichzeitig kippte im Schaufenster eine Pyramide aus Keksdosen um – das Geklapper hätte selbst die Toten wieder zum Leben erweckt.
    Yanne Charbonneau verlor fast das Gleichgewicht und machte einen Schritt zur Seite, so dass sie mit der Hüfte gegen die Theke stieß.
    Auf der Theke befand sich ein offenes kleines Regal, in dem verschiedene hübsche Glasschälchen standen, gefüllt mit Zuckermandeln, in Rosa, Gold, Silber und Weiß. Dieses Regal begann zu wackeln – instinktiv streckte Yanne die Hand aus, um es zu halten, aber eins der Schälchen landete auf dem Fußboden.
    »Rosette!« Yanne war den Tränen nahe.
    Ich hörte, wie die

Weitere Kostenlose Bücher