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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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nicht mehr. Nein, diesmal bleiben wir.
    Sie kam heute sehr früh. Anouk machte sich gerade auf den Schulweg. Ich ließ Zozie eine knappe Stunde allein, um mit Rosette ein Stück spazieren zu gehen, und als ich zurückkam, wirkte der Ladenirgendwie heller, weniger vollgestopft und viel attraktiver. Sie hatte die Dekoration im Schaufenster verändert, hatte einen Stoffrest aus dunkelblauem Samt auf die Dosenpyramide gebreitet und darauf ein Paar knallrote, glänzende Highheels gestellt, umgeben von lauter rot und golden eingewickelten Pralinen.
    Das ist gewöhnungsbedürftig, aber total faszinierend. Die Schuhe – es ist das Paar, das sie am ersten Tag anhatte – scheinen in dem dunklen Schaufenster zu leuchten, und die Süßigkeiten wirken auf dem Samt wie Schätze aus einer Wunderkiste, Würfel und Fragmente aus buntem Licht.
    »Ich hoffe, du hast nichts dagegen«, sagte Zozie, als ich hereinkam. »Das Schaufenster kann ein bisschen Farbe vertragen, habe ich gedacht.«
    »Es gefällt mir«, sagte ich. »Schuhe und Schokolade.«
    Zozie grinste. »Meine Zwillingsleidenschaft.«
    »Was magst du am liebsten?«, fragte ich sie. Ich wollte es eigentlich gar nicht wissen, aber aus professioneller Wissbegier fragte ich sie trotzdem. Vier Tage, und ich bin mit meinen Vermutungen noch nicht weiter als am ersten Tag.
    Sie zuckte die Achseln. »Ich mag alle Pralinen. Aber die gekauften sind nicht das Gleiche, oder? Du hast früher selbst welche gemacht, sagtest du neulich –«
    »Stimmt. Aber damals hatte ich mehr Zeit.«
    Sie schaute mich an. »Du hast jede Menge Zeit. Ich könnte vorne im Laden arbeiten, und du kannst hinten in der Küche herumzaubern.«
    »Herumzaubern?«
    Aber Zozie entwickelte ihre Pläne schon weiter. Sie schien gar nicht zu merken, welchen Effekt dieses beiläufig in die Debatte geworfene Wort auf mich hatte. Sie plante verschiedene selbst gemachte Trüffel, die Pralinensorte, die man am einfachsten selbst machen kann, und dann vielleicht noch Mendiants  – mein Lieblingskonfekt – mit Mandeln bestreut, dazu Sauerkirschen und dicke gelbe Rosinen.
    Ich könnte das mit geschlossenen Augen. Jedes Kind kann Mendiants machen, und Anouk hat mir damals in Lansquenet oft geholfen, hat die dicksten Rosinen ausgewählt, die süßesten Preiselbeeren (und dabei sich selbst immer eine großzügige Portion genommen) und die Scheiben aus geschmolzener heller und dunkler Schokolade mit komplizierten Mustern belegt.
    Seit damals habe ich keine Mendiants mehr gemacht. Sie erinnern mich zu stark an diese Zeit, an die kleine Bäckerei mit der geschnitzten Weizengarbe über der Tür, an Armande und Joséphine, an Roux …
    »Du kannst für selbst gemachte Pralinen verlangen, was du willst«, sagte Zozie, offenbar ohne zu ahnen, was in mir vorging. »Und wenn du ein paar Stühle aufstellst und eine Art Sitzmöglichkeit schaffst«, sie zeigte mir die Stelle, die sie meinte, »dann können sich die Kunden eine Weile ausruhen, eine Tasse Schokolade trinken oder ein Stück Kuchen essen. Das wäre doch toll, findest du nicht? Einladend, meine ich. Auf die Weise lockt man Kundschaft in den Laden.«
    »Hm.«
    Ganz sicher war ich mir nicht. Es klang viel zu sehr nach Lansquenet. Eine Chocolaterie ist ein Laden, und die Leute, die kommen, sind Kunden und keine Freunde. Sonst passiert eines Tages das Unvermeidliche, und wenn die Barrieren erst einmal niedergerissen sind, kann man sie nicht mehr aufbauen. Außerdem wusste ich, was Thierry sagen würde.
    »Ich glaube, lieber nicht«, sagte ich.
    Zozie sagte nichts, musterte mich aber mit einem komischen Blick. Ich hatte das Gefühl, sie irgendwie enttäuscht zu haben. Eigentlich absurd – und dennoch –
    Wann bin ich nur so ängstlich geworden? Wann habe ich angefangen, mir ständig so viele Gedanken zu machen? Meine Stimme klingt trocken und ein bisschen spröde, fast schon puritanisch. Ob Anouk das auch auffällt?
    »Na gut. War ja nur so eine Idee.«
    Aber was sollte denn passieren? überlegte ich mir. Es sind doch nur Pralinen, ein Dutzend Trüffel oder so, damit ich in Übungbleibe. Thierry denkt bestimmt, ich verplempere meine Zeit, aber warum sollte mich das zurückhalten? Was geht es mich an?
    »Na ja, für Weihnachten könnte ich vielleicht ein paar Schachteln machen.«
    Ich habe immer noch meine Töpfe, aus Kupfer und aus Emaille, alle säuberlich verpackt und im Keller verstaut. Ich habe sogar die Granitplatte behalten, auf der ich die geschmolzene Schokolade

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