Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
bis die Schönheit des Lebens ihn aus allem anstrahlt. Bis wir das große Ja aussprechen, worin das Leben ganz bei sich selbst ankommt.
Doch dahin ist es ein langer Weg. Er führt durch alle Dimensionen des Daseins. Und in jeder Dimension gibt sich die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst – diese Sehnsucht nach dem Bewusstsein seiner Untersterblichkeit – ein anderes Ansehen.
Im Körperbewusstsein treibt uns diese Sehnsucht zum Sex. Wir fühlen uns zu unserer/m Liebsten körperlich hingezogen und wollen Sex mit ihr/ihm. Wieder und wieder. Und indem wir es mit einander machen, tragen wir tatsächlich zur Unsterblichkeit des Lebens bei: nämlich schlicht und ergreifend dadurch, dass wir Nachkommen zeugen. So bleibt das Leben am Leben – ein großartiges Wunder! Diotima wird in ihrer Rede nicht müde, Sex und Körperlichkeit zu preisen: „Zeugung und Schwangerschaft sind etwas Göttliches im Menschen“ – Sex ist ein heiliges Geschehen und die Art und Weise, wie wir mit unseren sterblichen Körpern am Unsterblichen teilhaben, „indem ein Altes immer ein Junges an seiner Stelle hinterlässt und so dafür sorgt, dass das Leben nicht aufhört.“ Das ist die eigentliche, tiefe Bedeutung von Sex: Unsterblichkeit – das Leben am Leben erhalten. Und zur Belohnung bekommen wir dabei jede Menge Spaß. Gut irgendwie, oder?
Natürlich bildet sich diese Sehnsucht auch physiologisch ab. Das Leben will zu sich selbst kommen – mit Macht. Und deshalb hat es Mittel und Wege ersonnen, das auch wirklich zu tun. Unser Körper hält einen prickelnden Hormoncocktail für uns bereit, damit wir dem Ruf des Lebens auch wirklich folgen und in unseren Liebesnächten dafür sorgen,dass es „zu sich selbst kommt“ – und fortlebt. So gesehen ist Verliebtsein immer auch ein physiologisches Ereignis. Nur sollten wir nicht der Versuchung erliegen zu glauben, damit wäre das Geheimnis des Verliebtseins erklärt – so, als ob wir uns deshalb verliebten, weil unser Körper einen Hormoncocktail für uns mixt. Ich glaube nicht, dass in der Liebe „die Chemie regiert“, wie die amerikanische Anthropologin Helen Fisher behauptet. Der Hormoncocktail ist die physiologische Erscheinungsform der erotischen Liebe, er ist die körperliche Seite derselben Medaille, deren andere Seite unsere leidenschaftlichen und zärtlichen Gefühle sind – dieses bebende Glück der ersten Nacht. Eine messbare Außenansicht und eine fühlbare Innenansicht. Eines auf das andere zu reduzieren, ist nach meinem Dafürhalten Quatsch.
Wie dem auch sei: Normalerweise hält dieses Hormonfeuerwerk einige Monate an, um die Bindung zu unterstützen. Sobald alles Erforderliche getan ist, ebbt es ab und überlässt die Liebenden ihrer Fähigkeit, eine neue Ebene der Beziehung zu finden. Dann hat das Ich seinen ersten großen Auftritt. Wobei die Grundtendenz erhalten bleibt. Denn nicht nur in der körperlichen Dimension wollen wir Unsterblichkeit. Auch das Ich hat diesen Wunsch. Doch während der Körper darauf drängt, dass das Leben am Leben bleibt, fordert das Ich den Bestand seiner selbst für alle Zeit. Das Ich will sich immer haben – und es will deshalb denjenigen, den es zu seiner Ergänzung (oder Kompensation seiner nicht-integrierten Anteile) braucht, dauerhaft in seinen Besitz bringen. Das Ich kann sich das nicht anders vorstellen, als „bis dass der Tod euch scheidet“. Es sehnt sich nach Beständigkeit und Sicherheit – Unsterblichkeit möglichst schon zu Lebzeiten. Was zwar irgendwie paradox ist, weil es in seinem Wunsch nach Unsterblichkeit von seiner Sterblichkeit ausgeht. Aber gerade weil es seine Auflösung im Tod so sehr fürchtet, klammert es sich um so mehr an seine Habe – seine Besitztümer, die ihm Dauer, Beständigkeit und Sicherheit versprechen.
Also, das ist die Sehnsucht nach Unsterblichkeit auf der Körper-Ebene = Sex; und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit auf der Ego-Ebene= Stabiltität, Verlässlichkeit, Sicherheit, Ehe-Vertrag. Völlig in Ordnung, nur eben nicht alles. Schauen wir uns die Seelen-Dimension an. Wie stellt sich die Sehnsucht nach Unsterblichkeit hier dar? Als Sehnsucht nach Verbundenheit.
Die Seele ist das Organ des Verbundenseins. Je tiefer wir im Seelenbewusstsein sind, desto mehr integrieren wir unsere Schattenanteile, unser Unbewusstes, unsere Teilpersönlichkeiten; und desto mehr werden wir uns unserer Verbundenheit mit den Menschen unserer Umgebung bewusst – mit manchen mehr, mit manchen weniger, mit wieder
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