Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
des Ich, die eigene Identität zu verlieren, baut diese kalten, harten, undurchlässigen Wände auf. Und weil die Angst hinter diesen eisigen Wänden gerade nicht aufhört, graben wir uns immer tiefer in sie ein, bis wir nicht mehr intuitiv und situativ handlungsfähig sind.
Wir leben in einer Welt der Angst – dieser unheimlichen Herrscherin über unser Ich. Sie führt Regie über dieses eisige Maskenspiel der Coolness, diesen Schattentanz von Pornografie und Prostitution. Und dabei treibt sie uns mitten hinein in die totale Vereinzelung. Am Ende sind alle gefangen in ihrer eigenen Angst – versteckt hinter den künstlichen, aufgehübschten Fassaden normierter Körper. Das ist das Drama unserer Kultur: Wir sind auf dem Gipfel der Individualisierung angelangt – aber sie zeigt sich heute oft nur noch in ihrer Extremform, der Isolation.
Wie befreiend und weit erscheint dagegen die Vision einer erotischen Kultur, in der sich die Menschen ihrer Verbundenheit bewusst sind und aus Liebe handeln; in der wir uns von der Schönheit des Lebens und der Menschen berühren lassen dürfen. Ja, ich habe den Eindruck, dass wir nichts dringender brauchen als einen neuen Sinn für Schönheit, eine neue Feier der Schönheit, um diese kalten, kühlen, coolen Masken zu zertrümmern, die hinter ihnen verborgene Angst anzusehen und das Eis in unseren Herzen zu schmelzen.
Als die Nackten
Götter waren
Das Banale hat weder Herkunft noch
Göttlichkeit, die Schönheit dagegen
ist sehr ancienne und erinnert sich gut
des Paradieses, von dessen Wonnen sie
einen kleinen, vergiftenden Schimmer,
etwas sehnsüchtig Verzehrendes –
wie alles, was zum Jenseits die
Brücke schlägt – in unsere arme Welt
hinüberrettet
.
Wolf von Niebelschütz
Nacktheit und Schönheit schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Ich liebe all diese Nackten, die unsere Barockgärten bevölkern. Ich liebe die Nackten auf den Bildern eines Tiepolo, ich liebe die griechischen Götterbilder, ja ich liebe die erotische Photographie von Leuten wie Jonvelle, Lindbergh, Newton oder Bettina Rheims. Nacktheit berührt mich, begeistert mich, inspiriert mich – wenn sie denn erotisch und nicht pornografisch daherkommt. Jetzt möchtest du bestimmt noch genauer wissen, worin für mich der Unterschied besteht; vor allem: was die erotische Nacktheit auszeichnet. Na denn.
Eines habe ich ja schon gesagt: Erotische Nacktheit wahrt das Geheimnis. Sie ist nicht marktschreierisch, laut oder grell – sie ist spielerisch und leicht, flüsternd und verführerisch, eher schwarz-weiß als bunt. Und vor allem ist sie schön. Nur, was heißt das?
Lass mich dafür noch einmal auf die Nackten in den Barockgärten zu sprechen kommen. Wen stellen sie dar? – Kaum fassbar, aber sie stellen Göttinnen und Götter dar; oder Fabel- und Phantasiewesen – auf jedenFall aber Gestalten, die nicht von dieser Welt sind, dabei aber doch durch und durch irdische Leiber haben. So gesehen ist es ein eigentümliches Spiel, das dort gespielt wird: ein Spiel, das Menschliches und Göttliches verbindet; ein Spiel, bei dem sich die Vollkommenheit der Götter in der Vollkommenheit menschlicher Körper zum Ausdruck bringt; ein Spiel, das durch und durch erotisch ist. Weil es den menschlichen Körper als Erscheinungsort des Göttlichen und Vollkommenen preist und weil es dadurch das leistet, was Eros nach altem Verständnis leisten sollte: eine Brücke zwischen Mensch und Gott zu bauen.
Wo die Nackten Götter sind, hat Eros seine große Stunde, denn dort ist vereint, was er zusammenhalten möchte. Sexualität und Spiritualität sind in der schönen Erscheinung verschmolzen, und zwar so, dass der in keiner Weise seine Sexualität verleugnende Körper durchsichtig für das Göttliche wird, und gleichzeitig das Göttliche so in Szene gesetzt wird, dass es mich in seiner leuchtenden, leiblichen Schönheit hinreißt. So wird das Leben zum Fest – und die Kunst, die solches darstellt, zu einer Feier des Eros.
Vielleicht geht es dir anders, vielleicht habe ich an diesem Punkt eine Macke, aber ich sage dir ganz im Ernst: Die barocken oder antiken Götterbilder strahlen auf mich einen unglaublichen erotischen Zauber aus. Sie berühren mich, sie inspirieren mich, sie flüstern mir zu, was es heißt, das Leben zur Blüte reifen zu lassen. Die Nacktheit dieser Gestalten appelliert dabei nicht so sehr an meine Sexualität, sie wendet sich vielmehr an mein Herz, das gar nicht anders kann, als sich in diese Schönheit zu
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