Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
schenken uns nichts!“, sagen die Leute und fühlen sich dabei erwachsen und reif. In Wahrheit sind sie nicht erwachsen, sondern tot: der Liebe gestorben, dem Leben entwischt. Denn der Niedergang der Schenkkultur ist in Wahrheit der Niedergang des Eros. Dagegen müssen wir etwas unternehmen! Komm, lass uns gemeinsam eine Lanze brechen für das Schenken!
Wenn du in der Liebe bist, weißt du dich beschenkt. Nicht nur durch die Liebe oder deinen Liebsten. Nein, dein Herz weiß, dass es sich selbst geschenkt ist; dass das Leben ein Geschenk ist, mit dem wir nur eines tun können: es annehmen. Aber vielen Menschen fällt genau das schwer. Sie wollen sich nicht beschenken lassen. Sie meinen, es würde sie erniedrigen, ein Geschenk anzunehmen. Ihr Ich fühlt sich angegriffen, wenn sie sich bedanken müssen. Sie können es nicht zulassen, dass etwas mit ihnen geschieht, so sehr haben sie sich angewöhnt zu glauben, sie selbst müssten immer aktiv sein und alles unter Kontrolle haben. Ihnen fehlen Empfänglichkeit und Demut. Ihnen fehlt die „weibliche“ Seite des Eros, weshalb es mir auch besonders schmerzlich ins Auge sticht, wenn Frauen sich nicht mehr beschenken lassen.
Aber es ist ja nicht nur das. Wer sich nicht beschenken lassen möchte, sich einem Geschenk aber dennoch nicht entziehen kann, lässt in der Regel keine Möglichkeit aus, gnadenlos zurückzuschlagen: Man redet sich ein, dem Schenkenden verpflichtet zu sein – was man auf keinen Fall will –, und rächt sich an ihm, indem man ihm postwendend etwas zurückschenkt; statt sich einfach zu entspannen, ein Geschenk anzunehmen und sich daran zu freuen, und zwar ohne dabei sogleich in die zweckrationale Logik des
do ut des
(„Ich gebe, damit du gibst“) zu fallen. Diese Logik gehört in die Welt des Ego. Fast mechanisch fordert sie den Ausgleich zwischen Nehmen und Geben. Ein Beispiel: Er bringt ihr von der Reise ein Schmuckstück mit. Was passiert? Die Beschenkte sieht sich dann in der Schuld des Schenkenden. Um dieser Schuld zu entgehen, ziert sie sich, redet irgendetwas von: „Das wäre doch nicht nötig gewesen“ und ruht nicht eher, bis dass sie eine Gegenleistung erbracht hat, um nicht länger in der Schuld dessen zu stehen, der sie beschenken wollte. Und so brüskiert sie ihn, der doch aus Liebe und gefühlter Nähe etwas gibt. Ein solches Geziere und Getue finde ich sehr traurig, denn dadurch wird eine zarte Geste der Liebe überschattet und zunichte gemacht. Der zärtliche, warmherzige Akt des Schenkens gefriert an einer solch kühlen Oberfläche.
Deswegen bin ich so glücklich darüber, dass wir nie aufgehört haben, uns gegenseitig zu beschenken. Ich bin mir sicher, dass das einer der Gründe dafür ist, warum auch in Zeiten hoher Belastung und wechselseitiger Entfernung das Feuer des Eros zwischen uns doch nie ganz ausgegangen ist. Es wäre schön, wenn es uns gelänge, diese Kunst des Schenkens und des Sich-Beschenken-Lassens unter die Menschen zu bringen – so dass sie mit Freude geben und mit Heiterkeit empfangen und sich darin gegenseitig beglücken können.
Eine mir besonders kostbare Form unseres erotischen Spiels von Schenken und Beschenkt-Werden möchte ich bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen: Das Gespräch, das Hin und Her von Zuhören und Sagen. Beides sind außerordentlich erotische Qualitäten, die ich immerwieder im Gegenüber mit dir erfahren habe und die keineswegs selbstverständlich sind. Denn egal, wo du hinhörst: Überall haben die Leute Antworten, überall haben sie Positionen, die sie vertreten und an den Mann bringen wollen. Menschen, die zuhören und fragen, sind eher selten. Denn es könnte ja passieren, dass andere ihnen wirklich etwas zu sagen haben – etwas, womit sie dich beschenken wollen, das du aber nicht hören willst, weil es dich nicht in deinem So-Sein bestätigt, sondern dich stattdessen in Frage stellt. Das erotische Spiel von Fragen und Zuhören setzt voraus, dich gehen lassen zu können; deine Meinungen gut sein lassen zu können und dich einzulassen auf das, was andere sagen und sind. Dieses Sich-Einlassen ist eine schöne Variante auf das große Thema von Empfänglichkeit und Hingabe. Ich glaube, wir können uns gar nicht oft genug darin üben – bis zu dem Punkt, an dem das Geben und Nehmen des Gesprächs, das Schenken und Sich-beschenken-Lassen mit Fragen und Antworten zum Liebesspiel wird. Das ist dann fast so etwas wie Sex mit Worten, denn es liegt eine große Zärtlichkeit darin.
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