Hinreißend untot
noch einmal begegneten, würden die letzten Schranken zwischen uns fallen. So ungern ich es auch zugab, seine Selbstbeherrschung, nicht meine, hatte verhindert, dass
es
passiert war, vor den Augen Tausender Zuschauer. Und wenn der
Geis
sein Ziel erreichte, wurde auch das Ritual vervollständigt. Womit meine Überlegungen zum Ausgangspunkt zurückkehrten.
»Verdammt!« Beide Möglichkeiten waren inakzeptabel, doch eine dritte gab es nicht. Ich sah keinen Weg, den
Geis
loszuwerden und dabei das Ritual zu vermeiden. Wenn es einen gab, fand ich ihn gewiss nicht, während ich in einer Zelle im Feenland festsaß.
Wie ich mich auch drehte und wendete, überall stieß ich gegen eine Wand. Ich verabscheute es, keine Alternative zu haben, und ich konnte es nicht ertragen, dass jemand oder etwas anderes über mein Leben befand. Auf diese Weise war es gewesen, so weit ich mich zurückerinnern konnte. Tony, der Senat und die Bewohner des verdammten Feenlands, sie alle machten mich zu einem Opfer und nahmen mir das Recht, selbst zu entscheiden. Ich hatte nie die Kraft gehabt, mich zu wehren, mein eigenes Leben zu leben oder nur dafür zu sorgen, dass ich selbst und die Menschen, an denen mir etwas lag, sicher waren. Nicht einmal mit einer abtrünnigen Pythia-Aspirantin wurde ich fertig! Und so würde es bleiben, wenn sich die Dinge nicht änderten.
»Was ist?« Tomas’ Hand streichelte mein Kreuz und versuchte, mir Trost zu spenden. Weder das Ritual noch der
Geis
scherten sich darum, ob er verletzt war oder ich etwas gegen Sex in einer feuchtkalten Kerkerzelle hatte, mit einem wahrscheinlichen Zuhörer namens Billy. Der Drang, mich zu Tomas umzudrehen und das Angebot anzunehmen, das seit der ersten Begegnung mit ihm im Raum stand, war so groß, dass ich die Fäuste ballen musste, um sie stillzuhalten.
Ich zwang meine Gedanken zum Problem zurück. Die ganze Zeit über hatte ich mir eingeredet, dass ich die Macht jemand anders überlassen konnte, aber wer sollte das sein? Für den Job der Pythia schien es keine anderen Kandidatinnen zu geben, von denen man annehmen durfte, dass sie nicht unter die Kontrolle des Kreises oder von Pritkin fielen, und ich traute beiden nicht. Ein Krieg fand statt, und mir graute selbst bei der Vorstellung, dass die Macht auf jemanden wie Myra überging.
Tomas schlang die Arme um mich und zog mich in den Kokon seiner Wärme. Meine Hand bewegte sich von ganz allein und berührte die goldene Haut an der Seite seines Knies, dort, wo der lange, muskulöse Oberschenkel begann. Es wäre so leicht gewesen, dem Verlangen nachzugeben, das ich seit so langer Zeit spürte. Und spielte es wirklich eine Rolle? Der Kreis trachtete mir nach dem Leben. Konnte ich ihm glauben, wenn er mir einen Deal anbot? War es aus seinem Blickwinkel gesehen nicht besser, Konkurrenz für die eigenen Eingeweihten zu beseitigen, anstatt jemanden wie mich am Leben zu lassen? Wenn man schon Jagd auf mich machte, war es mir lieber, in einer möglichst starken Position zu sein. Und das galt erst recht für die Konfrontation mit Myra.
»Bist du sicher, dass du alles gründlich durchdacht hast?«, fragte ich Tomas ernst. »Es könnte schwerwiegende Folgen haben, wenn du mir bei der Vervollständigung des Rituals hilfst. Die Magier …«
Mit der Zungenspitze kostete Tomas die Innenseite meines Handgelenks. »Ich bin mir ganz sicher.«
»Aber was, wenn …«
Er lächelte schief. »Cassie, du weißt genau, was mich verfolgt. Glaubst du allen Ernstes, dass ich mir wegen des Silbernen Kreises Sorgen mache?« Ein guter Hinweis. Und obwohl ich es nicht zugeben wollte, hatte ich noch immer Gefühle für ihn, beziehungsweise für die Person, die ich in ihm gesehen hatte. Doch jemand, der alt genug war, sich an den Fall des Inka-Reiches zu erinnern, konnte wohl kaum Ähnlichkeit mit dem süßen Straßenjungen haben, für den ich ihn gehalten hatte. Den echten Tomas kannte ich nicht. Ich wusste nicht, wer er war, wenn der Senat nicht an seinen Fäden zog. Aber der Senat war nicht hier. Diesmal hatte er keinen Einfluss auf uns, wenn auch nur deshalb nicht, weil wir im Feenland in einer Zelle saßen. Und trotzdem: Tomas begehrte mich noch immer.
»Die Wahl liegt bei dir, Cassie. Du weißt, wie ich fühle.«
Ich richtete einen forschenden Blick auf ihn. »Weiß ich das? Louis-Cesar hat dir befohlen, zu mir zu kommen. All die Monate hast du nur deine Arbeit gemacht.«
Tomas’ Hände bewegten sich nicht mehr. »Und mache ich das noch immer,
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