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Hinreißend untot

Hinreißend untot

Titel: Hinreißend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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seiner kopfartigen Ausbuchtung waren zwei große, silberne Augen. Was auch immer es mit diesem Phantom auf sich hatte: Es war nie ein Mensch gewesen.
    Die Gestalt faszinierte mich so sehr, dass ich fast vergaß, in welcher Situation ich mich befand. Was die Pythia-Sache betraf, gab es viele Dinge, die ich nicht verstand, aber mit Geistern kannte ich mich aus. Ich hatte alte kennengelernt, die schon seit Jahrhunderten existierten, und neue, denen in einigen Fällen noch nicht klar gewesen war, dass sie das Zeitliche gesegnet hatten. Es gab freundliche, erschreckende … und auch Dinge, die gar keine Geister waren. Diese Erscheinung passte in keine der mir vertrauten Kategorien. Verblüfft begriff ich, dass ich nicht wusste, worum es sich handelte. Sie folgte den Leuten in Pachtung eines Ballsaals auf der anderen Seite der Treppe. Von seinem Innern konnte ich nicht viel erkennen, denn er war für Vampiraugen erleuchtet, nicht für meine. Die Eindrücke beschränkten sich auf lachende Stimmen, von Kerzenschein vergoldete Gesichter und prächtige Gewänder. Ein durchdringender süßlicher Geruch wehte mir entgegen, eine Mischung aus Parfüm und Blut, die in mir nicht unbedingt den Wunsch weckte, mich dem Saal zu nähern.
    Ein junger Mann um die achtzehn blieb wenige Meter von mir entfernt stehen. In der förmlich gekleideten Menge wirkte er sonderbar fehl am Platz, denn er trug nur eine pflaumenfarbene Hose aus seidenartigem Stoff. Brust und Füße waren nackt, und das lange Haar fiel lose auf die Schultern. Es reichte in sanften Wellen darüber hinweg und den Rücken hinunter, wirkte wie dunkle Seide auf der hellen Haut.
    Ich wollte weg und den Raum verlassen, in dem mein Herzschlag für alle deutlich zu hören sein musste, aber der junge Bursche stand im Weg und auf keinen Fall wollte ich die Frage beantworten müssen, was ich hier zu suchen hatte – immerhin wusste ich nicht einmal, wo »hier« war. Dann näherte sich einer der Gäste, ein blonder Vampir, dessen Kleidung wie eine militärische Uniform aussah: rot mit goldenen Litzen, dazu schwarze Stiefel. Er blieb direkt vor dem jungen Mann stehen und maß ihn mit einem ganz offensichtlich anerkennenden Blick.
    Der junge Mann schauderte, und ich beobachtete, wie sich seine Rückenmuskeln spannten. Scheu senkte er den Kopf, wodurch Licht und Schatten wechselnde Muster auf hohen Jochbeinen und am gespaltenen Kinn bildeten. Er errötete, und dadurch ähnelte er einem der Cherubim von den abblätternden Wandbildern, die ihre rosaroten Gesichter in Dunkelheit verbargen.
    Der Vampir streifte einen der weißen Handschuhe ab, die zu seiner Uniform gehörten. Besitzergreifend strich er dem jungen Mann über die Seite, seine Finger tasteten über die Rippen und verharrten schließlich auf der Seide am Hüftbein. Die Brust des jungen Burschen hob und senkte sich schneller, doch abgesehen vom lauteren Atmen gab er kein Geräusch von sich. Während ich versuchte, mit dem Boden zu verschmelzen, starrte ich auf seine Füße, die sich direkt in meinem Blickfeld befanden. Sie wirkten auffallend weiß auf dem grünen Marmor und sehr verletzlich neben den schweren Stiefeln des Vampirs.
    Der junge Mann versteifte sich, als sich ihm der blonde Kopf entgegenneigte und er die spitzen Eckzähne sah. Eine Hand wanderte über den zitternden Rücken und hielt ihn fest. Er gab einen kurzen, halblauten Schrei von sich, als sich ihm die Zähne in den Hals bohrten, und er erbebte am ganzen Leib. Aber schon einige Sekunden darauf schlang er den Arm um den Hals des Vampirs und stöhnte fast genießerisch.
    Kaum eine halbe Minute später wich der Vampir von ihm zurück, sein Mund so rot wie die Uniform. Der junge Bursche lächelte, und der Vamp zerzauste ihm zärtlich das Haar. Er warf seinen kurzen Umhang um die Schultern des Jünglings, und gemeinsam gingen sie zum Ballsaal.
    In meiner Magengrube hatte sich etwas zusammengekrampft, und mir wurde klar, warum ich keine Kellner mit Tabletts gesehen und kein Klirren von Gläsern gehört hatte. Wenn das Herz zu schlagen aufhörte, sank der Blutdruck im Körper auf null, die Adern kollabierten, und das Blut begann zu gerinnen. In der Form war es nicht nur weniger schmackhaft, sondern auch schwer aus dem Körper herauszuholen. Selbst junge Vampire lernten schnell, sich nur von Lebenden zu ernähren. Bei dieser Party wanderten die Erfrischungen auf eigenen Beinen umher. Und mit meinen Shorts und dem ärmellosen Shirt sah ich mehr wie ein wandelndes

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