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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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mal verheiratet gewesen. Immer allein gewesen. So sieht der auch aus. Ist gefährlich, wenn man zuviel allein ist, womöglich von Kindesbeinen an. Besonders, wenn du ein Einzelkind bist. Und du weißt ja, was aus dir wird, wenn du ein Einzelkind bist und nicht aufpaßt. Weißt du das? Bist du ein Einzelkind? Ja?«
    Er sah ein schwaches Nicken.
    »Ja? Ja? Ach. Ich auch. Weißt du, was aus einem Einzelkind wird, wenn es nicht aufpaßt? Ein Einzelerwachsener. Gefährlich. Denk an meine Worte. Big Bert. Gegenüber ein Jugoslawe mit Frau, Josef heißt der, arbeitet bei der Stadt. Straßenverkehrsamt. Kommt über die Runden. Die anderen kannst du vergessen. Ich red mit niemandem von denen. Die meisten halten eh ihre Tür verriegelt und tauchen nie im Stüberl auf. Wichtiger auf der drüberen Seite vom Hof. Soltersbusch. Frührentner. Exbäcker. Die Konkurrenz hat ihn plattgemacht. Billigläden. Backshops. Die jungen Leute gehen dahin, Schüler, die Nichtreichen. An sich eine soziale Sache. Aber: Für den gelernten Bäcker ein Verderben. Manche können sich halten. Soltersbusch nicht. Außerdem hat er eine Allergie gekriegt. Vielleicht war die Allergie mehr gegen die Konkurrenz als gegen den Teig und den Staub. Ich verrat dir was.«
    Überrascht von Fallniks abruptem Schweigen hob Linda den Kopf und horchte und atmete leiser durch die Nase.
    Fallnik legte die Hand mit der Pistole auf die Bettdecke, krümmte den Oberkörper, bis sein Mund Lindas Haar berührte. »Er hat eine Geheimloge gegründet.«
    Fallnik flüsterte. »Keine echte Loge, wie in Italien. Keine Gruppe von Verbrechern wie diese Politiker damals. Im Gegenteil: lauter aufrechte Bürger. Ja.«
    Er schnupperte. Die Haare rochen nach Schweiß und etwas, das er nicht definieren konnte. »Soll ich das Band abreißen?«
    Ihr Kopf fuhr herum und sie nickte und sah ihn aus großen, geröteten Augen flehend an.
    »Aber wenn du dann schreist?«
    Sie schüttelte den Kopf, ignorierte die Schmerzen, die seit unendlichen Stunden von ihrem Nacken in ihr Gehirn drangen, so daß sie glaubte, bei jedem weiteren Wort, dem sie zuhören mußte, würde ihr Schädel zerplatzen.
    Nein, dachte sie und drückte die Augen fest zu. Nein, nein.
    »Aber wenn doch?«
    Nein, dachte sie, bitte, bitte.
    »Leg deinen Kopf aufs Kissen«, sagte er.
    Sie tat es.
    »Wenn du schreist, passieren schlimme Dinge.«
    Er hob die Waffe.
    Linda machte keinen Mucks. Sie versuchte, nicht zu denken, nicht zu heulen. In kurzen Schüben atmete sie ein und aus, um ruhig zu werden, vernünftig zu bleiben.
    Seit er sie in seine Gewalt gebracht hatte, erschütterte ein Beben ihren Körper, das nicht nur von der Angst und der Gewalt, die der Mann ihr zufügte, herrührte.
    Das Beben kam aus den Tiefen ihrer Vorstellungskraft, aus dem verborgenen Zimmer ihrer Jugend, von dem ihre Freundinnen nicht die geringste Ahnung hatten und das für ihre Eltern nur eine lächerliche und dumme Provokation gewesen wäre, hätten sie je davon erfahren.
    Deshalb hoffte sie, der Mann würde sie nicht weiter mißhandeln, sondern einfach liegenlassen.
    Aber vielleicht begriff er ja nichts, und er würde sie vergewaltigen und töten. Und sie hätte ganz umsonst das große Beben gespürt und das Zimmer mit dem glühenden Leben vergebens all die Jahre sorgsam gehütet.
    »So gut kenn ich dich noch nicht«, flüsterte er.
    Eine Weile spürte sie seinen Atem im Nacken.
    Dann berührte seine kalte Hand ihre Wange, sein Zeigefinger strich über ihre Nase, und mit einer schneller Bewegung riß er ihr das Band vom Mund und lachte.
    Mit weit geöffnetem Mund schnappte Linda nach Luft und sah zu ihm hinauf.
    »Danke«, keuchte sie. »Danke, Herr …«
    Er starrte sie an, die Pistole in der einen, das Klebeband in der anderen Hand.
    In ihrem Nacken und an der linken Schläfe bemerkte er Verfärbungen, Schwellungen, Risse. Ihre nach hinten gestreckten Arme sahen im gelblichen Licht abstoßend weiß aus. Unter den Schnüren quoll Blut hervor. Auf dem Kopfkissen waren Blutschlieren.
    »Ich hab dich schöner in Erinnerung«, sagte er.
    Nach einem Moment stand er auf und ging hinaus, rollte den Klebestreifen zusammen und warf ihn in den Mülleimer in der Küche.
    Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer kratzte er sich zwischen den Beinen. Sein Magen knurrte.
    An der Tür blieb er stehen und schaute zum Bett.
    »Linda«, sagte er leise. »Linda.«
    Sie reagierte nicht.
     
    Zum erstenmal, seit er gestern mittag den Baumarkt verlassen hatte, empfand er

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