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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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hier nebenan die Schippers ihr Kind verhungern lassen oder auf 16 ein Psychopath hockt, der Mädchen schändet, dann will ich hören, was du zu den Journalisten sagst. Oh, tut mir leid, ich hab nichts gemerkt, eigentlich war der Mann immer sehr freundlich und unauffällig, das hätt ich dem nie im Leben zugetraut, er hat mir oft sogar die Haustür aufgehalten und meine schweren Einkaufstaschen nach oben getragen. So reden dann alle. Ich weiß genau, wieso du nicht Mitglied beim AMM werden wolltest. Weil dir alle Leute egal sind, das war früher schon so, du warst bloß nett zu ihnen, weil sie Kunden waren und das ganze Jahr bei uns eingekauft haben. Aber für ihr Leben hast du dich einen Dreck interessiert.«
    »Aber du«, erwiderte sie.
    Und er ließ sie stehen, weil er mit ihr nicht diskutierte.
    Das ist ein besonderer Moment, dachte Soltersbusch und betrachtete wieder die Fotos auf dem Tisch, den fliehenden Mann, die verhangenen Fenster, den leeren Balkon.
    Und er tippte die Nummer der Polizei.
    Hoffentlich lebt die Kleine noch, dachte er, hoffentlich greifen wir nicht zu spät ein.
    »Hier Soltersbusch, Milbertshofen …«
     
    Das Mädchen mit dem langen gelben Schal, den sie mehrere Male um ihren Hals gewickelt hatte, blieb unschlüssig stehen.
    »Ganz schön klaustrophobisch hier«, sagte sie. »Können wir nicht woanders reden?«
    Vor seiner Einstellung im Kommissariat III hatte Hauptkommissar Polonius Fischer einige Sonderrechte gefordert, die ihm der Polizeipräsident nach intensiven Debatten schließlich zubilligte, zum anhaltenden Erstaunen sämtlicher Kollegen. Zu den Privilegien zählte unter anderem die Erlaubnis, allein Vernehmungen – »Gespräche« – durchzuführen, und zwar in einem Raum, durch dessen Fenster man auf eine kahle Wand blickte. Außer dem Kruzifix über der Tür, das Fischer abnahm, wenn ein Zeuge es wünschte, hing an den Wänden nur noch ein einziger Haken für den Mantel des Kommissars und seinen Stetson, den er im Winter trug.
    Die Deckenlampe mit dem blauen Plastikschirm verbreitete gelbliches, unaufdringliches Licht.
    »Nehmen Sie Platz«, sagte Fischer.
    In dem niedrigen Raum wirkte der breitschultrige, große Mann mit den hervortretenden Wangenknochen, der auffallend gekrümmten Nase und dem nach hinten gekämmten schwarzen Haar noch strenger und einschüchternder als gewöhnlich.
    »Ist echt unheimlich hier.« Das Mädchen sah sich zu der Frau am Bistrotisch um, die ihren Laptop aufgeklappt hatte und bereits tippte.
    Fischer deutete auf den Stuhl vor dem viereckigen Tisch und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite unter das Fenster.
    Mit einem Seufzer setzte sich das Mädchen ebenfalls.
    Fischer legte die Hände auf den Tisch und faltete sie. »Sie müssen nicht alles wiederholen, was Sie meinen Kollegen schon in der Schule und im Polizeipräsidium erzählt haben, Frau Irgang, mich interessiert Ihre persönliche Sicht, Ihre Meinung, das, was Sie glauben.«
    »Was ich glaub? Was soll ich denn glauben?«
    »Sie sind eine von Lindas besten Freundinnen, Sie wissen viel über sie.«
    »Glaub ich nicht.«
    »Sehen Sie.«
    »Was? Bitte?«
    »Jetzt wissen wir schon, was Sie nicht glauben, Frau Irgang.« Fischer lächelte und bleckte die Zähne, was er oft tat, wenn er intensiv nachdachte.
    »Können Sie nicht Ellen zu mir sagen? Frau Irgang klingt irgendwie so alt.«
    »Was wissen Sie von Ihrer Freundin? Sie ist heute vor einer Woche verschwunden, und wir haben fast keine Spuren. Nur den Hinweis auf den Mann im Park. Wer könnte das gewesen sein?«
    »Hab ich doch alles schon erklärt.« Ellen schüttelte den Kopf. »Ich hab den nie vorher gesehen, und Linda hat behauptet, er wär ein Freund ihres Vaters, ein Journalist. Aber das stimmt ja wohl nicht.«
    »Nach allem, was wir bisher ermittelt haben, stimmt es nicht«, sagte Fischer. »Aber wir haben auch keinen Hinweis darauf, daß der Mann in Verbindung mit Lindas Verschwinden steht. Am Wochenende haben wir eine Sonderkommission zusammengestellt, ein Kollege von mir und ich sind aus der Mordkommission mit dabei, deswegen muß ich neue Gespräche führen.«
    »Sie meinen Verhöre«, sagte Ellen.
    »Verhöre gibt es seit 1945 nicht mehr.«
    »Echt? Klingt aber cooler: Verhöre. Schüchtert viel mehr ein.«
    »Ich will niemanden einschüchtern.«
    »Sie sehen aber so aus.«
    »Glauben Sie, Linda wollte von zu Hause weg? Wollte sie abhauen, die Stadt verlassen?«
    »Das haben mich Ihre Kollegen schon alles gefragt, ich weiß es

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