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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Fernsehers – als einziges Licht die Schirmlampe auf dem runden Glastisch brannte, kniete Schell sich auf den Boden, holte einen Kugelschreiber aus seiner Jacke und zog damit die Pistole unter dem Bett hervor. Er roch an ihr und ließ sie in eines der drei Plastiktütchen fallen, die er immer bei sich trug, und steckte sie in die Innentasche seiner Steppjacke.
    Fischer näherte sich der geschlossenen Badezimmertür. Vorsichtig klopfte er dagegen.
    »Linda? Mein Name ist Fischer, ich bin Polizist. Hören Sie mich?«
    Wieder hörte er ein Plätschern, das Strampeln von Füßen im Wasser.
    »Bin gleich fertig«, rief eine muntere Stimme.
     
    Sie hatten nicht die Zeit und vielleicht auch nicht das Vermögen, ihr Staunen mit ihrer Irritation und Unsicherheit, ihrer Erleichterung und Fassungslosigkeit in Einklang zu bringen. Als Linda Gabriel die Tür des Badezimmers öffnete, in einer schwarzen Jeans, einem weißen Männerhemd, das sie über der Hose trug, und sich mit einem roten Handtuch die Haare trocknete, indem sie mit heftigen Bewegungen über ihren Kopf rieb, stürzte Micha Schell auf sie zu, ohne daran zu denken, daß er immer noch seine Heckler & Koch in der Hand hielt.
    Erschrocken wich Linda zurück. »Nicht schießen. Nicht schießen.«
    »Das ist mein Kolleger Micha Schell«, sagte Fischer in der Tür zum Wohnzimmer. »Wir sind Mitglieder der Sonderkommission, die seit acht Monaten nach Ihnen sucht.«
    »Ich war hier.«
    Mit beiden Händen weiterrubbelnd, zwängte sie sich in dem engen Flur an Schell und Fischer vorbei, betrat das Schlafzimmer, ohne Fallnik zu beachten, der breitbeinig auf der Couch saß und zu dem ohne Ton laufenden Fernseher starrte, ließ sich aufs Bett fallen und lehnte sich ans Kopfende des Metallgestells.
    Aus einer Tüte neben dem Kissen nahm Linda eine Handvoll Kartoffelchips und schaute ebenfalls zum Fernseher. Die Chips in ihrem Mund krachten beim Kauen.
    Fischer gab seinem Kollegen ein Zeichen. Bevor Fallnik reagieren konnte, packte Schell ihn im Nacken und zog ihn von der Couch hoch. In Sekundenschnelle drehte der Kommissar ihm die Arme auf den Rücken, band eine Plastikfessel um die Handgelenke und schob ihn in Richtung Flur.
    »Sie sind festgenommen wegen Entführung und Freiheitsberaubung«, sagte Schell. »Sie können die Aussage verweigern und einen Anwalt anrufen. Haben Sie die Belehrung verstanden?«
    »Ich bin freiwillig hier« sagte Linda und sah weiter wie fasziniert zum Fernseher. »Lassen Sie Arthur in Frieden, er hat nichts getan. Er hat mich nicht vergewaltigt, ich hab freiwillig mit ihm geschlafen. Aber nur zweimal. Sonst noch Fragen?«
    Als sie die Hand wieder nach der Chipstüte ausstreckte, rutschte ihr das Handtuch vom Kopf. »Was glotzen Sie so?« rief sie in Richtung Fischer und knabberte mit finsterer Miene an einem Chip.
    »Auf den Fotos, die ich kenne, haben Sie lange blonde Haare.«
    »Ich hab sie abgeschnitten und gefärbt, ist das verboten?«
    Ihre Haare waren höchstens zwei Zentimeter lang und kohlrabenschwarz.
    Zudem hatte Fischer den Eindruck, das Mädchen sei dicker als auf den Fotos.
    »Arthur Fallnik hat Sie entführt«, sagte er. »Und er hat Sie eingesperrt.«
    »Nur am Anfang«, erwiderte sie und beugte sich vor und beobachtete das Geschehen auf dem Bildschirm. Ein blonder, lockiger Sänger in bayerischer Tracht tänzelte durch Reihen schunkelnder Zuhörer. Fischer ging zum Fernseher und schaltete ihn ab.
    »Sie sind das Opfer einer Entführung«, sagte er. »Ziehen Sie sich bitte an, Ihre Eltern warten auf Sie.« Zeitweise zweifelte Fischer an der Richtigkeit seines Tonfalls, er kam sich nachgiebig vor und empfand eine Art Mitgefühl für die junge Frau, das er für vollkommen unangebracht hielt.
    Eigenartigerweise erschienen ihm ihr Verhalten und ihre Aussagen vom ersten Augenblick an glaubhaft. Er hatte das Mädchen nie zuvor gesehen, aber er hatte Jugendliche kennengelernt, die lässig versucht hatten, ihn auszutricksen, und er wußte, wie geschickt – oder verzweifelt – Kinder mit der Wahrheit umsprangen und welche Fähigkeiten sie entwickeln konnten, an ihrer eigenen, nur für sie selbst funktionierenden Wirklichkeit zu basteln und daran festzuhalten gegen alle Furcht und Vernunft.
    Und Linda solidarisierte sich mit ihrem Entführer, weil sie hoffte, auf diese Weise ihre Angst zu besiegen oder wenigstens in Schach zu halten.
    »Ich geh hier nicht weg«, sagte sie und sprang aus dem Bett. »Was machen Sie überhaupt hier? Ich hab Sie

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