Hinter deiner Tür - Aktionspreis (German Edition)
Sauerei entstand.
Paul kam sofort angelaufen, stoppte das Fließband und
half mir, das Chaos zu beseitigen. Hätte sich doch mein inneres
Chaos genauso einfach wegwischen lassen!
„Lena, was ist denn los mit dir? Geht es dir nicht gut?“
„Bin wohl etwas durch den Wind.“
„Weißt du was, komm doch heute Abend zu mir, dann
reden wir.“
Nachdem ich diese Schicht endlich überstanden hatte,
stieg ich wieder in den Seehas. Sollte ich wirklich zu Paul
gehen?
Von der Haltestelle in Radolfzell waren es nur noch ein
paar Meter durch den kalten Wind bis zum Supermarkt.
Telefonisch hatte mein Vater mir die Einkaufliste für diese
Woche durchgegeben. Als alle Lebensmittel verstaut waren, lief
ich voll bepackt zu ihm.
Seit Mutter vor knapp zwei Monaten ausgezogen war,
verließ mein Vater das Haus nur noch, um ab und zu seine
Zigarren zu holen. Ich brachte ihm die schlechten Nachrichten
und die Einkäufe nach Hause.
„Da bist du ja, Kleines!“ Er gab mir einen Kuss auf den
Mund. Hatte der ´ne Fahne.
„Du musst mal aufräumen und sauber machen, Papa“,
ermahnte ich ihn, während ich die Pizza-Kartons und leeren
Bier- und Weinflaschen entsorgte. Das Bad war in einem
katastrophalen Zustand. Ich schnappte mir einen Schwamm, ein
Desinfektionsmittel, Handschuhe und beseitigte den gröbsten
Schmutz. Mein Vater stand in seinem dunkelblauen
Jogginganzug an den Türrahmen gelehnt.
„Danke, Lena, du machst das viel schneller und besser als
ich.
Wenn du deine Mutter siehst, grüße sie von mir!“, sagte er
mit zittriger Stimme und beobachtete mich.
„Ja, mach ich. Bis nächste Woche“, antwortete ich,
obwohl ich genau wusste, dass ich meine Mutter nicht sehen
wollte.
„Gibst du mir mal das Salz? Es steht direkt neben dir.“
Pauls Wohnung war nett eingerichtet. Seine Möbel
schienen von Ikea zu stammen; die Regale kamen mir bekannt
vor. Auch das Sofa hatte ich im Internet-Shop gesehen. Er
kochte Spaghetti Bolognese. Ich half ihm beim Zwiebeln
schneiden. Meine Augen tränten. Wie konnte ich nur so
unvorsichtig sein!
Paul verhielt sich sehr taktvoll. Er fragte nicht, was mit
mir los war. Wahrscheinlich dachte er, ich würde von alleine
reden, wenn mir danach wäre. Aber wo hätte ich überhaupt
anfangen sollen?
Ich erzählte ihm von dem kurzen Ausflug nach Paris, und
er berichtete ausführlich über seine Reisen. Bilder von China,
Indien und Sri Lanka entstanden vor meinem inneren Auge.
Langsam wurde mir klar, warum er immer noch studierte.
Übrigens Politik, Soziologie und Psychologie. Ein
Magister-Studiengang.
„Ich möchte Journalist werden und schreibe nebenbei für
eine Zeitung.“ Langsam war ich richtig beeindruckt. Und kochen
konnte er auch. Wir hoben das Glas auf gute Nachbarschaft.
„In der Fabrik bin ich übrigens wegen einer Reportage“,
vertraute er mir nach dem dritten Glas Wein an.
„Ist ja auch ne Schufterei, die niemand freiwillig macht.“
Mir schmeckte der Wein an diesem Abend gar nicht. Ein Glas
aus Höflichkeit, mehr ging beim besten Willen nicht.
„Hm, lecker deine Sauce. Du bist auf jeden Fall ein guter
Koch. Worüber schreibst du denn?“
Allerdings konnte ich seinen Worten nicht folgen, da ich
bei meiner Lieblingsbeschäftigung war. In meinen Gedanken
ließ ich ein Bild von meiner Zukunft entstehen …
Lena mit tollem Job, das Leben fällt mir sehr leicht. Der
Mann an meiner Seite sieht gut aus und verdient genug Geld ...
Die Kleine geht in den Kindergarten, der Große in die Schule.
„… Du kommst auch drin vor.“
Waa war los? Worüber wollte Paul schreiben?
„Huch, schon so spät“, rief ich aus. Es war bereits nach
Mitternacht. Paul begleitete mich noch zur Tür.
„Schade, dass du … schon … gehen … willst. Wir sehen
... uns im ...Treppenhaus ... oder auf ... der Arbeit“,
verabschiedete er mich vor seiner Eingangstür und kam mit
jedem Wort einen Schritt auf mich zu.
„Du, ich muss wirklich ins Bett, habe in der letzten Nacht
kaum geschlafen.“
Noch bevor er mich berühren konnte, stand ich im
Treppenhaus. Auf dem Weg zurück zu meiner Wohnung wusste
ich, wie ich dem Nebel am Bodensee eine Weile entfliehen
konnte.
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12
„Hi Thilo, schön, dass es noch geklappt hat.“
Daniel wartete bereits an der Bar. Vor ihm stand ein halb
geleertes Bierglas. Warum war er hergekommen? Eigentlich
hatte er keine Lust auf ein Besäufnis mit Daniel. Der aber war
am Telefon hartnäckig
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