Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Migalytsch!«, jubelte er euphorisch. »Warte, ich bringe die Karte!«
Unter Wasser, im Reich ewiger Dämmerung und wattiger Stille, empfindet man die eigene Nichtigkeit nicht weniger intensiv als die Fremdheit der Umgebung. Es herrscht nahezu Schwerelosigkeit, und die Begriffe »oben« und »unten« verlieren ihren Sinn. Geräusche klingen dumpf und fern, amorphe Schatten huschen wie Phantome durch die Gegend und ständig hat man das Bedürfnis, sich die vor den Augen schwirrende trübe Brühe von der Taucherbrille zu wischen.
In solchen Momenten schrumpft die gewohnte Welt auf die Größe einer engen Gummimaske und das Geräusch des eigenen Atems zusammen. Beim Gedanken, dass jeder Atemzug ein bisschen kürzer als der vorhergehende ist, macht sich ein unterschwelliges Angstgefühl breit. Unwillkürlich horcht man in sich hinein und hat das zwanghafte Bedürfnis, ständig auf das Manometer zu schauen. Reicht die lebensspendende Atemluft in den Flaschen? Ist es noch weit bis zum Point of no Return? Tausende Tonnen Wasser sind eine psychische und physische Last, die dem Organismus mitunter böse Streiche spielt. Das Herz fängt plötzlich an zu zappeln wie ein Vogel im Netz, und jedes Mal läuft ein unkontrollierbarer, kalter Schauer durch den Körper, wenn man durch den Taucheranzug irgendeine Berührung spürt – sei es durch ein neugieriges Fischlein, einen Felsvorsprung oder sonst ein Hindernis.
Für einen Augenblick erschien der mit Schwimmhäuten bewehrte Fuß eines der vorausschwimmenden Tritonen in der Dunkelheit. Taran verstärkte den Beinschlag und folgte dem exotischen Begleiter in die Tiefe. Die Abtauchphase durch ein geflutetes Höhlensystem, das direkt mit der Grotte an der Oberfläche verbunden war, endete in einem gigantischen Bunker aus Felsgestein. Das Wasser war hier so klar, dass man Angst bekam, nach unten zu blicken. Der Stalker schwebte gleichsam schwerelos und hatte das Gefühl, er könne jeden Moment auf die spitzkantigen Felsbrocken stürzen, die am Grund der Kaverne ihre Zähne zeigten.
Der Fremdenführer mit den spitzen Ohren deutete fieberhaft mit dem Finger nach oben. Im Schein der Lampe war schemenhaft ein Loch in der Decke zu erahnen. Taran schaute sich nach Dym um, der ganz in der Nähe schwamm, wiederholte die Geste des Begleiters und begann als Erster die Auftauchphase.
Nun war es an der Zeit, sich an die Dekompressionstabellen zu erinnern, die Taran vor dem Krieg wie ein Verrückter gebüffelt hatte, als er das Tauchen noch als Hobby betrieb. Der Aufstieg führte an spitzen Felsvorsprüngen vorbei bis zu einem Wasserförderrohr, das etwa zwei Meter Durchmesser hatte. Eine erste Spur der Zivilisation … War der Tempel womöglich doch Menschenwerk?
Das Durchtauchen der rostigen Röhre war eine echte Nervenprobe für die beiden Stalker, besonders für Dym mit seinen unpraktischen Körpermaßen. Und wären die grauhäutigen Begleiter nicht gewesen, die den Gästen schon die ganze Zeit durch die Engstellen der Kavernen geholfen hatten, dann wäre Gennadi dieses letzte Wegstück womöglich zum Verhängnis geworden: Der Schlauch seines Tauchgeräts hatte sich an einem völlig verschlammten Gitter verfangen, das ein ausgedientes Pumpenrad schützte, und wäre beinahe abgerissen.
Endlich kam weiter oben Licht in Sicht. Der langwierige Auftauchprozess ging dem Ende entgegen. Nachdem Taran die Oberfläche erreicht hatte, prüfte er als Erstes die wenig erfreuliche Dosimeteranzeige und blickte sich dann nach allen Seiten um.
Der Ort glich eher einem Wasserspeicher als einem Tempel. Eine einzige, flimmernde Tageslichtlampe erhellte einen mittelgroßen Raum mit Wänden aus Beton. Entlang des Beckens, in dem sie sich befanden, verliefen Gitterstege. An der Wand gegenüber befand sich eine verschlossene Tür. Die Aufschrift konnte man wegen des abgeblätterten Lacks nicht mehr entziffern, doch das Strahlenwarnzeichen mit dem Flügelrad war noch gut zu erkennen.
Die Tritonen schwammen einer nach dem anderen zum Beckenrand und legten mitgebrachte Sachen am Gittersteg ab: Bündel aus geflochtenem Tang und Körbe mit Muscheln, lebenden Krebsen und sonstigem Meeresgetier.
Die Präsente für den Unterirdischen, erriet der Stalker.
Neben ihm tauchte prustend Dym aus dem Wasser. Der Gigant spuckte das Mundstück aus, riss sich die Tauchermaske vom Kopf und stieß wüste Flüche aus. Dann legte er erschöpft die baumdicken Arme auf den Beckenrand und pustete erst einmal durch.
»Weißt du was,
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