Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Nachdem Sungat den Topf blitzblank ausgeleckt hatte, fiel er in einen tiefen Schlaf. Schwer angeschlagen, aber noch lange nicht besiegt …
20
DER BLICK HINTER DEN HORIZONT
Das letzte Wegstück zum Heiligtum der Kiemenmenschen mussten die Stalker zu Fuß zurücklegen. Vorsichtig balancierten sie über das Eis, das den steinigen Strand bedeckte. Im Küstenmassiv befand sich eine Grotte, die überhängende Felsen vor Wind und Schneefall schützten. Ihre gewölbte Decke war niedrig, und der Boden mit glatten, runden Steinen gepflastert. Aus der Ferne sah der Eingang in die Grotte wie der aufgerissene Mund eines versteinerten Titanen aus, der als stummer Wächter das Treiben der armseligen Kreaturen am Ufer verfolgte.
Die von den Tritonen ausgetretene Spur verschwand zwischen zwei kegelförmigen Findlingen, die wie Eckzähne aussahen und eine unsichtbare Grenze bildeten. Dahinter herrschten Feuchtigkeit, Dunkelheit und eine beklemmende Stille, die gelegentlich von plätschernden Geräuschen durchbrochen wurde.
Das Tageslicht, das in schrägen Strahlen in die Grotte fiel, reichte aus, um die Quelle zu sehen, die sich in einer Wandnische befand. Das Wasser floss durch eine blank polierte Steinrinne und sammelte sich in einer breiten Schale, die mit schnörkeligen Mustern verziert war. Bei genauerem Hinsehen konnte man den Kultgegenstand als stinknormale Satellitenschüssel identifizieren.
Um das Gefäß herum hatten sich mehrere Tritonen versammelt. Weltentrückt schöpften sie das Wasser mit Muschelschalen und tranken es in großen Schlucken. Dabei reckten sie immer wieder die Köpfe wie Vögel, die sich an einer Wasserstelle versammelt hatten.
In der Mitte der Grotte befand sich ein zugefrorener Tümpel. An seinem Rand hatten sich Krieger des Stammes eingefunden und hackten mit ihren Speeren ein großes Loch in das brüchige Eis.
»Da sollen wir runter?«, fragte Dym mit klammer Stimme.
»Sieht ganz danach aus«, erwiderte Taran und spähte argwöhnisch in das schwarze Loch, in dem Eisbrocken schwammen.
»Schau mal …« Gennadi tippte seinem Freund auf die Schulter. »Da hast du deine heilige Quelle …«
Es lief kein Wasser mehr in die Kultschüssel nach. Die »heilige Quelle« war plötzlich versiegt. Einer der Tritonen kletterte über den Felsen zur Nische und entfachte plötzlich einen metallischen Lärm. Als die Stalker näher traten, stellten sie verwundert fest, dass sich im brüchigen Felsgestein eine alte Wasserleitung befand. Das senkrecht verlaufende Rohr kam von irgendwo aus der Erde und verschwand unter der Grottendecke in der steinigen Bodenschicht unter der Oberfläche. Dem dicken Rostbelag nach zu schließen, trat das »heilige Wasser« durch das rissige Rohr aus und speiste auf diese Weise die Quelle.
Der Tritone klopfte vorsichtig mit seinem Speer gegen das Metall, doch aus dem Rohr drangen nur zischende Laute und das Blubbern von Luftblasen, das ganz ähnlich klang wie die merkwürdige Sprache der Kiemenmenschen.
»Kannst du dir vorstellen, was hier unter der Erde ist?«, fragte Dym seinen Freund.
Nachdem die Tritonen die Kultschale ausgeschöpft hatten, warteten sie geduldig auf irgendeine Fortsetzung, über die die Stalker nur spekulieren konnten.
Taran zuckte mit den Achseln und sah zur Sicherheit in der Karte nach.
»Also eine vage Vermutung hätte ich schon … Allerdings wäre es besser, wenn es auch eine Vermutung bleiben würde. Wir sind in der Syssojew-Bucht. Hier in der Nähe befand sich vor dem Krieg ein Stützpunkt des Fernöstlichen Zentrums zur Entsorgung von radioaktivem Abfall. Um genauer zu sein, ein Lager für die ausgedienten Kernreaktoren von Atom-U-Booten. Man könnte also über die Existenz eines unterirdischen RA -Endlagers spekulieren. Dort, unter unseren Füßen.«
Der Stalker deutete vielsagend mit dem Finger nach unten.
»Was du nicht sagst«, raunte der Mutant. »Und was bedeutet RA ?«
»Radioaktiver Abfall.«
Laut ausgesprochen, jagten die beiden bösen Worte den Stalkern einen leichten Schauer über den Rücken. Taran sah sich sogar genötigt, zum wiederholten Mal einen Blick auf das bedrohlich knisternde Dosimeter zu werfen.
»Es mault …«, murmelte er und klopfte aufs Display.
»Das bedeutet, dass es dort unten strahlt wie in einem Höllenofen?« Dym zeigte auf das Loch im Eis.
»Ein absolut treffender Vergleich.«
»Aber aus dem Rohr kommt doch immer wieder völlig sauberes Wasser«, fuhr Gennadi fort und wandte sich wieder der »heiligen
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