Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
alles nur schlimmer, als er mit seiner groben Pranke an eine dünne Glasscheibe geriet. Glitzernd regneten die Scherben zu Boden. Die Reagenzgläser, die er hatte aufhalten wollen, flogen hinterher und gingen zu Bruch.
»Mist, jetzt hab ich mich auch noch geschnitten!«
Dym wedelte mit der verletzten Hand, und Blut spritzte über eine ganze Batterie von Petrischalen.
Der Wissenschaftler schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stürzte herbei, um den Schaden zu begutachten, den der ungeschickte Riese angerichtet hatte.
»Meine Kulturen!«, jammerte er. »Was haben Sie gemacht! Jede dieser Modifikationen des Stamms könnte der Schlüssel sein …«
Der Unterirdische stand entsetzt vor seinem Labortisch, blinzelte fieberhaft und runzelte die Stirn. Dann nahm er eine der besudelten Schalen auf, drehte sie hin und her und hielt sie gegen das Licht. Die Blutstropfen hatten eine wunderbar rubinrote Farbe angenommen.
»Hören Sie mal, mein Lieber«, sagte der Wissenschaftler plötzlich, zu Gennadi gewandt. »Sie sind nicht zufällig resistent gegen radioaktive Strahlung?«
»Äh … Was?« Dym hatte ihn nicht verstanden. »Entschuldigen Sie die Bescherung, Doc. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte.«
»Ach, die paar Reagenzgläser, das macht nichts!«, winkte der Unterirdische ab und rückte seine Brille zurecht. »Beantworten Sie lieber meine Frage.«
»Er ist nicht nur resistent«, schaltete sich der Stalker ein. »Dym profitiert sogar von der Strahlung. In mäßigen Dosen, versteht sich. Wenn er frisch aufgetankt hat, ist er aufgedreht wie ein Akku-Besen.«
»Hm …« Der Wissenschaftler überlegte kurz, dann begann er, durchs Labor zu wuseln, und sammelte herumliegende Notizzettel ein. »Entschuldigen Sie mich bitte, aber ich muss dringend diese Kultur analysieren. Es sieht ganz danach aus, dass Ihr Blut, mein tollpatschiger Freund, eine wilde Modifikation unseres Stamms enthält. Deshalb muss ich Sie kurz alleine lassen. Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
Der Unterirdische eilte davon. Eine Tür schlug zu. Im Raum kehrte Stille ein. Nur hin und wieder hörte man ein dumpfes Rumoren, das aus der Tiefe des Komplexes kam.
Der Mutant verband sich notdürftig die Hand und ließ sich auf das Sofa plumpsen. Das alte Möbel ächzte unter seinem Gewicht, doch Gennadi kümmerte das nicht. Ihm gingen die Mutmaßungen des Wissenschaftlers im Kopf herum.
»Dann bin ich also wegen Alpheios so auf die Welt gekommen?«
»Der Bakterienstamm hat damit nichts zu tun.« Taran nahm ein Mikroskop vom Tisch, betrachtete es zerstreut und stellte es vorsichtig wieder an seinen Platz. »Du hast einen Teil unseres Gesprächs versäumt. Wenn ich den Doc richtig verstanden habe, dann ist Alpheios absolut ungefährlich für Menschen. Sonst hätte das Projekt auch gar keinen Sinn. Es handelt sich schließlich nicht um eine biologische Waffe, sondern um ein Mittel zur Entgiftung von Ökosystemen. Was anderes sind diese unkontrollierbaren Genmodifikatoren … Wahrscheinlich war deine Mutter damit infiziert, und an deinem Organismus sind schon im Mutterleib unumkehrbare Veränderungen passiert.«
»Das heißt, ich bin sozusagen die Ausgeburt der kranken Fantasien von irgendwelchen Eierköpfen in weißen Kitteln?«, schlussfolgerte der Mutant entrüstet. »Na toll … Dann weiß ich jetzt wenigstens, wem ich meine Hässlichkeit zu verdanken habe.«
Taran setzte sich seinem Freund gegenüber halb auf den Tisch und suchte nach den richtigen Worten.
»Weißt du, Gena, man muss in allem auch etwas Positives sehen. Ja, du bist anders als die anderen. Das bestreite ich gar nicht. Aber das hat nicht nur Nachteile. Du musst nicht ständig vor radioaktiver Strahlung und wilden Bestien Angst haben. Im Gegenteil, die meisten Raubtiermutanten machen ein großen Bogen um dich!«
»Ja ja, genau wie die meisten Menschen«, klagte Dym. »Da wäre mir die Angst im Zweifelsfall lieber. Immer noch besser, als ein Aussätziger zu sein. Warum hassen die Menschen mich so?«
Als Taran Gennadis Blick auffing, fuhr er unwillkürlich zusammen. Bildete er sich das nur ein, oder waren die Augen des Riesen feucht?
Solange Emotionen den Verstand vernebeln, haben tröstende Worte keinen Sinn. Und Mitleid macht alles nur noch schlimmer. In solchen Situationen hilft nur Härte. Harte Worte sind das beste Mittel gegen Selbstmitleid und helfen dabei, die Schwermut abzuschütteln. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.
»Das weißt du doch selbst
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