Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
genügten, um die Köpfe der an der Rampe festgerosteten Befestigungsbolzen abzuschlagen. Spielend hob der Mutant die demontierte Seilwinde hoch, drehte sie hin und her und betrachtete kritisch die Trommel mit dem zersplissenen Seil. Dann wandte er sich an Gleb.
»Na, was sagt der Fachmann?«
»Die müssen wir wohl auseinanderbauen. Die Muttern sind uralt, aber einen Versuch ist es wert. Ich hol mal den Engländer raus.«
Der Junge kramte eifrig im Werkzeugkasten. Dann hielt er das Dreibein fest, während sich sein Partner mit der Trommelwelle abmühte. Gleb war so auf die Reparatur konzentriert, dass er Dyms Gebrabbel zuerst gar nicht beachtete.
»Was?«, fragte er für alle Fälle nach.
»Ich habe gesagt, dass ich bei einer Händlerin an der Elektrossila ein Heilkraut gesehen habe. Noch aus Vorkriegsproduktion! Wenn man es aufkocht, schmeckt es angeblich wie echter Tee. Allerdings kostet es auch genauso viel. Sonst hätte ich mir eine Kostprobe mitgenommen. Salbei heißt das Kraut. Schon mal gehört? Ich habe mir extra die Verpackung eingeprägt. Wer weiß, vielleicht werde ich ja reich auf unserer Expedition.« Als der Mutant den verständnislosen Blick des Jungen bemerkte, fuhr er fort: »Worauf ich hinaus will: Vielleicht hat dieses Zeug aus dem Bericht ja auch irgendwas mit Medizin zu tun? Salbeius … Alpheios …« Der Mutant ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, als könnte er der rätselhaften Erfindung damit ihr Geheimnis entlocken. »Wie auch immer – ein seltsames Wort.«
»Ein Fluss …«, sagte Gleb zerstreut, während er die Wipfel hundertjähriger Fichten bewunderte, die in der Dämmerung allmählich mit dem Himmel verschmolzen.
»Was?«
»So heißt einer der Flüsse, die Herkules umgeleitet hat, um den Augiasstall auszumisten.«
»Herkules?« Dym zog die Augenbrauen hoch. »Noch nie gehört. Von welcher Station? Obwohl, das ist sicher ein Masut. Gute Wasserbauer werden heutzutage ja händeringend gesucht …«
Der Junge hörte nur mit einem Ohr zu, während er in seiner Einsatzweste nach dem Schraubenzieher suchte. Plötzlich fiel ihm der ovale Aufkleber mit dem Panoramabild aus der Tasche, den er als Trophäe aus Kronstadt mitgebracht hatte. Gleb bückte sich fluchend, um ihn wieder aufzuheben, doch ein tückischer Windstoß schnappte ihm das Bild wie ein verspielter junger Hund vor der Nase weg und wehte es in die gegenüberliegende Ecke der Plattform.
Der Junge lief ohne zu zögern hinterher. Als er nur noch zwei Meter von dem Aufkleber entfernt war, klatschte plötzlich ein gewaltiger Tintenklecks an die Außenseite des Käfigs. Die Gitterstäbe vibrierten. Der unförmige schwarze Klumpen rutschte etwas tiefer herab und verharrte dann, als wäre er an den vereisten Stangen festgefroren. Gleb sprang zurück, stolperte und fiel auf den Rücken. Die Maschinenpistole bohrte sich schmerzhaft in seine Seite.
Aus dem schwarzen Klumpen schob sich eine Art Rüssel durch die Gitterstäbe und näherte sich Glebs Stiefel. Der Junge zog angeekelt das Bein weg und robbte zurück. Zu allem Überfluss hatte sich der Lauf der Bison im labberigen Schutzanzug verfangen. Gleb riss verzweifelt am Riemen und schaute sich um.
Dym näherte sich bereits, um ihm zu helfen. Er hielt das Dreibein der Seilwinde in der Hand. Doch auf halbem Weg rutschte der Gigant auf einer Eisplatte aus und purzelte armrudernd zu Boden. Das Dreibein flog wirbelnd durch die Luft, krachte unmittelbar neben dem Aggressor ins Gitter und fiel dann herunter.
Das klumpige Geschöpf hatte zwar nichts abbekommen, blieb aber nicht unbeeindruckt von dem heftigen Einschlag und kletterte hurtig auf das Dach des Käfigs. Im Licht der Taschenlampe schimmerten seine kurzen, dornigen Beinchen. Das über den Stahl schabende Chitin verursachte ein unheilvolles Geräusch. Als das Vieh oben war, hörte das Schaben auf, und ein schauriges Zirpen setzte ein.
Der Junge hatte endlich seine Bison freibekommen und legte sie an. Der schwarze Klumpen hing praktisch direkt über seinem Kopf. Es war wohl eher keine gute Idee, jetzt abzudrücken. Womöglich war die Bestie giftig und dann gute Nacht, wenn sich die ätzende Soße seiner Innereien über die Gasmaske ergoss und am Ende noch irgendwo in seinen Anzug drang.
»Zur Seite!«
Noch bevor Gleb begriffen hatte, was geschah, reagierte er auf das Kommando und rollte reflexartig zur Seite ab. Deshalb konnte er nicht sehen, wie der Parasit vom Dach des Käfigs gepustet wurde. Er hörte nur, wie der
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