Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
auch etwas Beunruhigendes. Kein Specht hämmerte im dichten Wald, keine Wühlmaus raschelte im Unterholz, und selbst vom beklemmenden Geheul mutierter Wölfe, die sich mittlerweile explosionsartig vermehrt hatten, war weit und breit nichts zu hören. Auch das Fehlen jeglicher Tierspuren im jungfräulichen Schnee ließ keinen Zweifel daran: Hier lauerte ein unsichtbarer Tod. Ein aggressives Raubtier, der perfekte Jäger der neuen Welt, der auf der verbrannten Erde des Planeten das Zepter übernommen hatte, nachdem die alten Herren verschwunden waren.
Die örtliche Flora hatte sich unter dem Einfluss der hohen radioaktiven Strahlung bis zur Unkenntlichkeit verändert. Von Bäumen im ursprünglichen Sinne des Wortes konnte man kaum mehr sprechen. Ihre verdrehten, platt gedrückten Stämme mit den geschwürartigen Auswüchsen sahen erschreckend fremdartig aus, als wären sie nicht von dieser Welt. Und das dichte Dornengestrüpp, das sich zu beiden Seiten der Straße erstreckte, wirkte wie ein Stacheldrahtverhau.
Was indes die Fauna betraf, so wagte es an diesem schönen Dezembermorgen niemand, die Ruhe dieses bezaubernden und doch mausetoten Fleckchens Erde zu stören. Niemand beobachtete den schwarzen Punkt, der sich aus Westen näherte, allmählich immer größer wurde und die Luft mit einem längst vergessenen Geräusch erfüllte – dem dumpfen Dröhnen eines Dieselmotors.
Wenig später fraßen sich die riesigen Räder des Stahlungetüms in das glitzernde weiße Band, und sein keilförmiger Schneepflug räumte den Weg durch die Schneewehen frei. Mit Tonnen von aufgewirbeltem Eisstaub im Schlepptau donnerte der Truck an dem verschneiten Café vorbei und verschwand wenig später hinter der nächsten Biegung.
Als sich der Gestank der Auspuffgase verzogen hatte und das Motorengeräusch verhallt war, zeugte vom Besuch der Menschen nur noch eine doppelte Spur, die sich wie eine hässliche Narbe durch die Schneedecke zog.
»Der ist schon zwei Tage am Stück auf den Beinen! Geh schlafen, ich bin dran, sage ich zu ihm. Aber er bleibt stur am Steuer. Dabei fallen ihm schon die Augen zu. Früher oder später landen wir im Graben, und dann gute Nacht.«
Migalytsch war äußerst verstimmt über die Trennung von seinem Lieblingsspielzeug und pfefferte zornig seine Haube auf die Bank. Dym nickte mitfühlend mit dem Kopf und schob den Alten sanft vom Durchgang weg.
»Geh mal zur Seite, Väterchen. Da muss man diplomatisch vorgehen. Mit Gefühl …«
»Bind dir am besten noch eine Krawatte um!«, rief ihm der Mechaniker hinterher.
Doch Gennadi war bereits – abenteuerlich gebückt – im Verbindungsgang zur Fahrerkabine verschwunden.
Die Kinder, die unfreiwillig zu Zeugen des »Dramas« wurden, zuckten nur mit den Achseln und schauten wieder aus dem Fenster, um die draußen vorbeiziehende Landschaft zu bewundern. Sitting Bull zerlegte gerade sein WSS Wintores und war völlig versunken in diese Beschäftigung. Deshalb musste Migalytsch sein Mitteilungsbedürfnis an dem Heiden auslassen, der zusammengerollt auf seiner Koje lag. Als er sich zu ihm setzte, bemerkte er sofort den leichten Alkoholgeruch.
Obwohl Taran es strengstens verboten hatte, war es dem Chirurgen doch tatsächlich gelungen, Spirituosen mit an Bord zu schmuggeln. Jetzt döste er leicht benebelt vor sich hin.
»Ein sturer Bock ist er!«, erklärte der Alte und rammte dem Arzt den Ellbogen in die Seite, um sich Gehör zu verschaffen. »Fährt ohne jede Pause. Du wirst sehen, der fährt uns die Karre noch zu Schrott! Hundertprozentig!«
Der Heide rekelte sich, klappte mühsam die Augen auf und sondierte die Umgebung mit einem trüben Blick. Als ihm klar wurde, dass er den munteren Alten sowieso nicht wieder loswerden würde, setzte er sich widerwillig auf, lehnte den Rücken an die Trennwand und gähnte herzhaft.
»Der kann doch gar nicht schlafen … Oder würdest du an seiner Stelle jetzt seelenruhig pennen? Er hat doch auf die eigenen Leute geschossen. Die Leichen der Allianzler werden ihn noch in seinen Albträumen verfolgen.«
Allmählich fand Gleb die Unterhaltung interessant und spitzte die Ohren.
»Mir ist schon klar, dass er nicht aus Übermut so lange fährt.« Der Mechaniker knetete nachdenklich seine leidgeprüfte Panzerhaube. »Da braucht man sich nur seine finstere Visage anzuschauen.«
Der Chirurg sah sich verstohlen um, zwinkerte dem Jungen zu und zog einen ramponierten Flachmann hervor.
»Magst du einen Schluck?«, fragte er den
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