Hinter dem Mond
Stirnfalte auf der Stirn, als sie zu mir kam.
»Das war deine Lehrerin, Chanum Meier. Ich glaube, die ist verrückt«, sagte meine Mutter ganz ruhig. »Sie wollte wissen, ob mit dir hier überhaupt niemand spricht, oder warum du immer noch nicht genug Farsi verstehst und warum deine Aufsätze und Diktate so mies sind. Ich hab gesagt, wir sprechen die ganze Zeit mit dir, und zwar nur Farsi.« Sie sprach Deutsch.
»Dann meinte sie«, meine Mutter verstellte ihre Stimme und äffte Frau Meiers leidende Jammerstimme perfekt nach: »Alle Kinder in der Klasse lieben mich, nur Leily nicht.« Meine Mutter fing an zu lachen. »Ich dachte, was redet die, ich hab ihr gesagt, machen Sie sich nichts daraus, uns liebt sie auch nicht, wir wissen auch nicht, was wir tun sollen, wir haben uns einfach damit abgefunden! Die will von dir geliebt werden! Verrückt! Ausgerechnet von dir!« Dann lachte sie wieder laut bei der Vorstellung, dass ich meine rare Liebe ausgerechnet einer Persischlehrerin mit leidender Stimme schenken würde.
Ich saß immer noch am Esstisch und war sprachlos. An diesem Tag liebte ich meine Mutter sehr. Wie cool und überlegen sie war.
Deshalb war ich in dem Moment auf der Treppe vor dem Chemieraum total schockiert, als Armin mich fragte, ob ich die blöde Kuh nicht mochte.
»Natürlich nicht!« Ich verzog das Gesicht.
Er klappte sein Baguette auf und sagte bedeutungsvoll zu mir: »Schnitzel!«
Und dann: »Willst du ein Stück?«
Ich wollte. Wir aßen sein Schnitzel-Sandwich, und ich erzählte ihm von Frau Meiers peinlichem Anruf und meiner coolen Mutter, die jetzt aber leider abgehauen sei und mich mit meinem Vater, der Katze und dem verblödeten Kindermädchen allein gelassen hatte.
»Bei uns kann sie gar nicht anrufen, meine Eltern sind nie da, die sind immer eingeladen, jeden Tag«, sagte Armin und zuckte die Schultern in dem neuen dunkelblauen Sweatshirt mit der Aufschrift Harvard University.
»Echt? Nie da? Was macht dein Vater denn?«
»Er verkauft Pipelines.«
»Für Öl?« Ich wusste nur, dass Pipelines Rohre waren, durch die Erdöl floss.
»Ja, er ist Vertreter für Pipelines.« Armin lachte verlegen und zuckte wieder mit den Schultern. Komischer Beruf, dachte ich. Alle Väter waren Arzt oder Ingenieur oder sie hatten eine Fabrik. Pipeline-Verkäufer kannte ich noch nicht.
Dann wechselten wir zu anderen Themen. Armin hatte in einem Spezialkino in den Sommerferien in München schon alle Filme gesehen, die ich noch nicht kannte. Ich bewunderte ihn glühend für sein Wissen.
Kurz darauf lud Alex Ardalan Leute aus unserer Klasse zu einer Party bei sich zu Hause ein. Alex war ein verwöhnter, dicklicher Junge, der mit seinem Vater und seinen beiden älteren Brüdern aufwuchs. Seine Mutter war schon lange gestorben, und der Vater hatte nicht wieder geheiratet.
Alex’Brüder waren im Gegensatz zu ihm groß und schlank, trugen enge Jeans, hatten beide lange dunkle Locken und sahen aus wie Rockstars.
Irgendwann kam er auch zu mir, und mir fiel sofort ein Stein vom Herzen.
»Meine Brüder machen in zwei Wochen eine Party«, sagte er ernst, als wäre das eine geschäftliche Angelegenheit. »Du bist eingeladen, wenn du kommen willst. Ich gebe dir noch eine Einladung.«
Ich freute mich unbändig.
»Ich auch? Aber deine Brüder kennen mich doch gar nicht!«
Andy sah mich an, als wäre er der Kopf einer Bande.
»Wenn die eine Party machen, kann ich einladen, wen ich will.«
Endlich. Ich war dabei! Das war nicht eine von den Kinderpartys, wo man spätestens um acht abgeholt wurde, Cola trank und zu viel Kuchen aß. Das war eine ernste Sache.
Angela war auch eingeladen. Wir überlegten, wie wir es anstellen sollten, dass wir länger bleiben durften als nur bis acht. Die Party ging erst um sieben los.
Angela durfte auf keinen Fall länger als acht, ihr Vater würde sie spätestens dann abholen.
Ich könnte meinen Vater vielleicht auf neun verschieben, aber noch später hatte er keine Lust mehr, quer durch Teheran zu fahren, nur um mich abzuholen.
So erzählte Angela ihren Eltern, sie würde bei mir schlafen, weil Alex in unserer Nähe wohnte und mein Vater uns um Punkt acht abholen würde. Ich erzählte dagegen meinemVater, die Party sei bei Sepideh, dem spießigsten und langweiligsten Mädchen der Klasse, deren Vater auch ein bekannter Arzt war. Und dass der Lehrer-Vater von Bettina, der bei uns an der Schule Mathe und Biologie unterrichtete und meine Eltern kannte, uns etwas später abholen
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