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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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Gedanken mehr fähig.
Und früher oder später – meist früher – gelangte ich immer wieder dahin.
    Ich merkte, wie
die Blicke der Ärzte, die in regelmäßigen Abständen an meinem Bett auftauchten,
immer besorgter wurden, aber es war mir egal. Ich wollte gar nicht gesund
werden. Es erschien mir schon ungerecht genug, dass ich überlebt hatte, während
er gestorben war. Vielleicht könnte ich wenigstens ein bisschen von dieser
Ungerechtigkeit wieder ausgleichen, wenn ich krank bliebe. Und überhaupt – mir
graute vor dem Tag, an dem ich hier herausspazieren und mein Leben wieder
aufnehmen sollte, als wäre nichts geschehen. Wenn es nach mir ginge, würde
dieser Tag niemals kommen.
    Aber ich hatte
die Rechnung ohne meine Mutter gemacht. „Okay, Clarissa, ich sehe mir das nicht
länger mit an.“ Ihre Stimme, als sie an diesem Morgen mein Krankenzimmer betrat
(mittlerweile schlief sie nicht mehr an meiner Seite, sondern in einem Hotel in
der Nähe), klang wie eine Kampfansage, und sie schaffte es, den grauen Nebel,
der mich jetzt immer umgab, zumindest soweit zu durchdringen, dass ich den Kopf
hob und sie ansah. „Die Ärzte sagen, dass sie hier nichts mehr für dich tun
können, solange du nicht mithilfst. Und Phils Geduld ist auch langsam am Ende.“
Sie seufzte, und meine Gedanken drifteten wieder ab.
    Philipps Gefühle
interessierten mich wirklich nicht die Bohne, aber er konnte Amanda gerne
zurückhaben. Ich konnte verstehen, dass mein Anblick tagein tagaus sie
langweilte und deprimierte. Außerdem musste sie ja sicher auch irgendwann
zurück an die Arbeit. Ich versuchte, nachzurechnen, wie viele Tage oder gar
Wochen ich schon hier verbracht hatte, gab es aber bald wieder auf. Ein elender
Tag war wie der andere, und daran würde sich auch nie wieder etwas ändern.
    „Fahr ruhig
zurück, ich komm schon klar“, murmelte ich gleichgültig.
    Sie sah mich
zuerst überrascht und dann empört an. „Glaubst du wirklich, ich lasse dich hier
allein? In diesem Zustand?“
    Verwirrt
blinzelte ich. Hatte sie denn nicht genau das gerade gesagt?
    „Gut, ich gebe
ja zu, dass ich nicht immer die beste Mutter war.“ Ihre Stimme klang jetzt
etwas weinerlich, und ich verkrampfte mich innerlich. Eine ihrer
Selbstmitleidtouren konnte ich momentan wirklich nicht ertragen. „Aber so eine
Rabenmutter bin ich nun doch nicht! Ich lasse doch nicht mein einziges schwer
traumatisiertes Kind mutterseelenallein in der Fremde zurück! Dafür muss auch
Phil Verständnis haben. Ich habe es ihm schon erklärt.“
    Meine Verwirrung
stieg. Wenn sie gar nicht nach Hause fahren wollte, was wollte sie dann?
    Die Antwort auf
diese stumme Frage ließ nicht lange auf sich warten: „Wir gehen natürlich
zusammen zurück! Zu Hause wirst du all das Schreckliche, was dir hier
widerfahren ist, bestimmt ganz schnell vergessen.“ Mit einem strahlenden
Lächeln beendete sie ihre kleine Rede und sah mich aufmunternd an.
    Ich war völlig
überrumpelt. Nach Deutschland zurück? Was sollte ich denn da?
    „Aber… meine
Schule… Inverness…“, wandte ich stammelnd ein. „Und – Mike…“ Ich konnte nicht
weiter sprechen. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, als mir auf
einmal bewusst wurde, dass Mike mich in dieser ganzen langen Zeit noch nicht
ein einziges Mal besucht hatte. Zwar war auch sonst niemand gekommen, aber das
konnte ich verschmerzen. Doch Mikes Vernachlässigung verletzte mich mehr, als
ich zugeben wollte.
    „Also, da mach
dir mal keine Gedanken“, antwortete meine Mutter mit einer wegwerfenden
Handbewegung. „Das ist alles schon geregelt. Du glaubst doch wohl nicht, dass
ich dich dorthin zurückkehren lasse! Zu diesen verantwortungslosen…
rücksichtslosen…“ Ihre empörte Stimme, die immer lauter geworden war, brach ab.
Dann fing sie sich wieder und fuhr mühsam beherrscht fort: „Ich habe deiner
sogenannten Gastfamilie “ – sie spuckte das Wort aus, als sei es etwas
Ekliges, das ihr zwischen den Zähnen steckte – „bereits mitgeteilt, was ich von
ihrer Art halte, auf meine Tochter achtzugeben. Die beiden scheinen ja
überhaupt zwei ziemlich zweifelhafte Subjekte zu sein. Die Polizei glaubt
sogar, dass sie möglicherweise etwas mit deiner Entführung zu tun haben! Sie
konnten ihnen bislang zwar noch nichts nachweisen, aber… Glaub mir, zu denen
schicke ich dich ganz bestimmt nicht zurück!“ Wieder war ihre Stimme laut
geworden, laut und selbstgerecht.
    Ich dagegen war
wie vor den Kopf geschlagen. Mike und

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