Hinter der Nacht (German Edition)
Raphael sollten etwas mit meiner
Entführung zu tun haben? Und mit Ariks Ermordung? Das war so absurd, dass ich
fast gelacht hätte. Aber es wurde nur ein ersticktes Husten daraus.
Gleichzeitig jedoch durchströmte mich Erleichterung. Also hatte Mike mich doch
nicht vergessen.
Amanda merkte
nicht, welchen Aufruhr sie in mir ausgelöst hatte, sondern schimpfte weiter:
„Und stell dir vor, dieser Mike und sein Vater besaßen sogar die Frechheit,
hier vorbeizukommen und dich sprechen zu wollen! Ich habe ihnen natürlich
sofort jeden weiteren Umgang mit dir untersagt! Nicht auszudenken…“
Ihre weiteren
Worte verpufften ungehört irgendwo im Krankenhauszimmer. Ich nahm sie nicht
mehr wahr. Erst jetzt, als sich plötzlich ein kleiner Teil des riesigen Knotens
in meiner Brust löste, merkte ich, wie sehr auch das mich belastet hatte – wenn
auch nur unwesentlich im Vergleich mit der alles überlagernden anderen Last,
die mir niemand jemals würde abnehmen können. Trotzdem sehnte ich mich auf
einmal fast schmerzhaft nach Mikes Lächeln und seiner sanften Stimme. Der
Gedanke, dass ich auch ihn nie wieder sehen sollte, war unerträglich.
„Nein!“ Mein
Ausruf unterbrach den Redefluss meiner Mutter, und sie sah mich verblüfft an.
„Wie bitte?“
„Mike hat damit
nichts zu tun! Ihn kannst du mir nicht auch noch wegnehmen!“
„Aber…
Clarissa!“, stotterte meine Mutter gekränkt.
Ich ließ sie
nicht zu Wort kommen. „Mike ist der beste Freund, den ich je hatte, und ich
lasse ihn mir nicht nehmen!“ Ich schluchzte fast vor Aufregung, aber ich wischte
die Tränen energisch fort. Das hier war wichtiger. „Er hat nichts mit dem zu
tun, was mir passiert ist oder… oder…“ Es fiel mir schwer, seinen Namen
auszusprechen, aber schließlich schaffte ich es doch. „…oder Arik! Er hat ihn
nicht… umgebracht!“
Meine Mutter
wirkte erschüttert, und zum ersten Mal schienen ihr die Worte zu fehlen. Dann
nahm sie ganz vorsichtig meine Hand, als sei diese zerbrechlich. „Clarissa,
Schätzchen – das ist auch so eine Sache.“ Ihre Stimme klang äußerst behutsam,
und sofort schrillte bei mir eine Alarmglocke.
„Was?“
„Naja, das mit…“
Sie zögerte, aber ich schaute sie herausfordernd an. Schließlich überwand sie
sich und rückte mit dem heraus, was ihr offensichtlich schon länger auf dem
Herzen lag, ohne dass sie gewagt hätte, es anzusprechen. „Das mit diesem… mit -
Arik. Bist du dir wirklich sicher – ich meine, absolutsicher - dass er
– tot ist?“
Wieder stockte
mein Herzschlag. Was sollte das denn heißen? Waren denn jetzt alle verrückt
geworden?
„Natürlich ist
er tot!“, fuhr ich sie an. „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie dieser
Mörder ihn erstochen hat! Mit einem Messer! Wie kannst du mich nur so etwas
fragen?“ Als das furchtbare Bild erneut vor meinem inneren Auge auftauchte,
wurde ich von heftigem Schmerz überwältigt, fast, als drehte sich das Messer in
meinem eigenen Herzen. Ich krümmte mich zusammen, und Tränen schossen mir in
die Augen.
„Schon gut,
schon gut, ich glaube dir ja!“ Amandas Stimme holte mich halbwegs zurück. Sie
tätschelte mir beschwichtigend die Hand.
„Wieso fragst du
dann so etwas Grausames?“, schluchzte ich. „Willst du mich quälen?“
„Aber nein,
Liebes!“ Ihre Stimme klang ehrlich erschrocken, und der Schmerz darin war echt.
„Es ist nur – die Polizei hat keinerlei Spuren gefunden. Und eine – eine Leiche “
– das Wort schien ihr genauso schwer über die Zunge zu gehen wie mir – „eine
Leiche haben sie auch nicht entdeckt. Obwohl sie wirklich die gesamte Küste und
das Meer in einem Umkreis von vielen Meilen von deiner Fundstelle abgesucht
haben. Und da haben sie eben auch andere Möglichkeiten in Betracht gezogen.“
„Andere
Möglichkeiten?“ Ich war immer noch aufgebracht. „Was denn für welche?“
„Zum Beispiel,
dass dieser Junge gar nicht tot ist, sondern…“
Ich unterbrach
sie: „Er ist aber tot! Und er wird nie – wieder – lebendig !
Egal, was die Polizei oder du glaubt! Auch wenn ich alles – Hörst du? Alles! - dafür geben würde, wenn es anders wäre.“ Meine Stimme brach. Ich vergrub das
Gesicht in meinen Händen und ließ mich zurückfallen. Am liebsten hätte ich mich
unter der Decke verkrochen und wäre nie wieder aufgetaucht.
Amanda schien
mein Bedürfnis zu verstehen. „Ruh dich aus, Kleines“, hörte ich sie flüstern.
„Ich packe unsere Sachen, und dann hole ich dich ab.
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