Hinter der Nacht (German Edition)
Und dann fliegen wir beide
nach Hause.“
Ich hörte sie
kaum. Plötzlich war mir alles zuviel. Vielleicht hatte sie ja doch recht. Was
sollte ich hier noch? Ohne Arik machte mein Leben sowieso keinen Sinn mehr. Und
hier würde mich alles immer wieder an ihn erinnern. Vielleicht war es wirklich
am besten, nach Deutschland zurückzukehren und Gras über die Sache wachsen zu
lassen. Angeblich heilt die Zeit ja alle Wunden. Auch wenn ich nicht glaubte,
dass wirklich jemals irgendetwas in meinem Leben wieder gut werden würde.
Schneller als
erwartet kam meine Mutter zurück. Ich hörte, wie sie die Tür des Krankenzimmers
öffnete. Dann ließ sie sich auf meiner Bettkante nieder.
„Hallo,
Clarissa. Bist du wach?“
Die leise Stimme
ließ mich blitzartig unter der Bettdecke hervor schießen. Das war nicht meine
Mutter!
„Mike! Oh, Mike !“
Mit einem Schrei warf ich meine Arme um ihn, und er erwiderte meine Umarmung,
als wollte er mich nie wieder loslassen. Ich weinte hysterisch und merkte erst
jetzt, wie sehr er mir wirklich gefehlt hatte.
Er hielt mich
einfach nur fest an sich gedrückt, bis ich mich halbwegs beruhigt hatte. Dann
schob er mich ein Stückchen von sich, ohne mich dabei loszulassen. „Mensch,
Clarissa, es ist so schön, dich wiederzusehen. Auch wenn du wirklich
schrecklich aussiehst“, fügte er mit einem Anflug von Galgenhumor hinzu, was
einen neuen Tränenstrom bei mir auslöste.
Erst nach einer
ziemlichen Weile fand ich meine Stimme wieder, wenn auch nur in Form eines
heiseren Krächzens. „Wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt?“
Sein Blick wurde
ernst. „Ich – konnte nicht kommen“, entgegnete er vorsichtig.
„Ich weiß!“,
rief ich empört. „Amanda hat mir alles erzählt. Ich habe wirklich noch nie
etwas so Bescheuertes gehört!“ Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Es wollte
mir immer noch nicht einleuchten, dass man Mike und seinen Vater für die
Entführer halten konnte. Oder zumindest deren Komplizen. „Aber – wie hast du es
geschafft, jetzt doch zu kommen?“
Seine besorgte
Miene verschwand, und er grinste. Aber seine Augen blieben ernst. „Also, sagen
wir mal so: Ich habe meinen ganzen Charme auf deine Mutter abgeschossen. Und da
hat sie sich endlich doch weich kochen lassen.“
Fast musste ich
ebenfalls grinsen. Ich kannte Mikes Zauber schließlich zur Genüge, genau so wie
Amandas Empfänglichkeit für männlichen Charme. Wahrscheinlich war sie ein
leichtes Opfer gewesen, vor allem, nachdem ich sie halbwegs davon überzeugt
hatte, dass von Mike keine Gefahr ausging.
„Sie hat mir
erlaubt, dich noch einmal zu sprechen. Zum Abschied.“ Er runzelte die Stirn,
und auf einmal sah er gar nicht mehr fröhlich aus. „Sag mal, willst du uns
wirklich verlassen?“
Langsam löste
ich mich aus seinen Armen und rückte von ihm ab. Ich spürte, wie sich ein Kloß
in meiner Kehle bildete und sah ihn nicht an, als ich nickte.
Eine Weile blieb
es still, bis ich es nicht mehr aushielt und meinen Blick hob. Auch er hielt
den Kopf gesenkt. Endlich sagte er mit belegter Stimme: „Okay, wahrscheinlich
hast du recht. Ich kann verstehen, dass du nicht bleiben willst. Aber ich werde
dich vermissen.“
Der Kloß in
meinem Hals wurde größer. Tonlos flüsterte ich: „Ich dich auch.“ Meine in
diesen Tagen stets sehr locker sitzenden Tränen begannen wieder zu fließen,
dennoch fuhr ich tapfer fort: „Ich werde dich auch vermissen. Aber ich glaube,
wenn ich bleibe, wird alles nur noch schlimmer.“
„Das kann ich
verstehen. Glaub mir, das kann ich. Ich… ich sehe ihn auch ständig vor mir. Und
dich. Wie sie dich packen. Und du dich dann auf einmal in Luft auflöst. Es ist
ein Alptraum!“
Starr blickte
ich ihn an. Dann wisperte ich: „Ich träume jede Nacht von dem Messer. Und wie
er mich ansieht. Seine Stimme. Wie er sich gewehrt hat. Und wie sie ihn
kaltblütig - ermordet haben…“ Meine Stimme brach.
Auf einmal
spürte ich wieder Mikes Arme um mich. Wir hielten uns aneinander fest, und zum
ersten Mal seit all dem Schrecklichen hatte ich das Gefühl, dass es vielleicht
doch noch etwas in meinem Leben gab, was mir etwas bedeutete. Aber nicht
mehr lange, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. In Deutschland hast du
selbst das nicht mehr. Dann bist du ganz allein.
Als Amanda etwa
eine Stunde später wiederkam, blieb sie vor Staunen stocksteif in der Tür
stehen. Seit Wochen hatte sie hier der immer gleiche Anblick empfangen – ich,
trüb und verhärmt in
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