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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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weiter auszuhorchen. Denn ich wurde das
Gefühl nicht los, dass mehr dahinter steckte. Dass diese Geschichte irgendwie –
so absurd es auch klang - mit meiner eigenen verbunden war. Diese seltsamen
Zeitverschiebungen konnten einfach kein Zufall sein. Und wenn ich herausfand,
was es wirklich mit Mikes Mutter auf sich hatte, würde ich vielleicht auch
endlich verstehen, was bei der Entführung mit mir passiert war.

Schule
    Clarissa
     
    Die Feiertage
kamen und gingen, ein neues Jahr begann, das Leben ging weiter – aber nicht
mein Leben. So aufregend mir zunächst Raphaels Geschichte erschienen war, konnte
sie doch das Grau, das mich umfing, nur kurz durchbrechen, bevor es verstärkt
zurückkehrte. Was spielte es schon für eine Rolle, wer Mikes Mutter war? Auch
wenn ich früher alles daran gesetzt hatte, mehr über sie herauszufinden, so
änderte es jetzt doch nichts mehr an dem einzigen, was mich wirklich
interessierte. Dass er nicht mehr da war. Vor diesem Hintergrund wurde
alles andere unwichtig. Uninteressant. Grau. Schwarz. Mir war alles gleich. Ich
sah keine Helligkeit, keine bunten Farben, weder an den Weihnachtsbäumen noch
am Silvesterhimmel. Die Welt war tot.
    Mike bemühte
sich nach Kräften, Licht in die Finsternis zu bringen – für mich. Mit seinem
Vater dagegen sprach er kein Wort. Und Raphael erwiderte sein Schweigen. Es
war, als wollte er ihm die nötige Zeit geben und ihn zu nichts drängen. Ich
konnte Mike verstehen, und seine Niedergeschlagenheit angesichts des verlorenen
Vertrauens in seinen Vater war das einzige, was mich ab und zu aus meiner
eigenen Trübsal riss. Er tat mir leid, aber ich wusste nicht, wie ich ihn
trösten konnte. Ich hatte keinen Trost mehr in mir.
     
    Mit dem neuen
Jahr begann auch die Schule wieder, und das war ein weiterer Punkt, vor dem mir
graute. Je länger ich mich in meinen sicheren vier Wänden verkrochen hatte, nur
mit Mike und seinem stummen Vater, desto unwirklicher kamen mir die
Geschehnisse vor. Und desto unwahrscheinlicher. Wie ein böser Traum, den man
verdrängen konnte und aus dem man irgendwann aufwachen würde. Aber ich wusste,
dass diese Illusion – das einzige, was mir das Weitermachen ermöglichte –
zusammenbrechen würde, sobald ich wieder in die Schule ging. Und er nicht dort
wäre. Nie wieder.
    Je näher der
gefürchtete Tag kam, desto panischer wurde ich. Meine Nerven spielten verrückt,
und mir war ständig übel. Selbst Raphael, der in diesen Tagen eher wie ein
Schatten als wie ein lebendiger Mensch wirkte, schien mitzubekommen, wie es um
mich stand, und schließlich bot er mir an, mich krank zu melden.
    „Es gibt keinen
Grund, dass du unbedingt jetzt schon wieder los musst“, meinte er am Abend des
letzten Ferientages, als ich mal wieder keinen Bissen von dem von Mike mühevoll
zubereiteten Essen hinunter bekam. „Dafür hat jeder Verständnis!“
    „Sehe ich
wirklich so schlecht aus?“, fragte ich kläglich zurück.
    „Noch
schlechter“, bestätigte Mike. Es war das erste Mal seit zwei Wochen, dass er
auf irgendetwas reagierte, was Raphael gesagt hatte. Aber natürlich sah er nur
mich dabei an.
    Ich kämpfte mit
mir. Raphaels Angebot war wirklich verlockend, und ein Teil von mir klammerte
sich daran wie an einen Rettungsring. Aber ein anderer – zugegeben verschwindend
kleiner – Teil widersprach.
    Du kannst
dich nicht ewig verstecken. Früher oder später musst du dich wieder hier
raustrauen. – Ja, aber dann lieber später! – Je länger du dich verkriechst,
desto schwerer wird es! – Aber ich bin noch nicht bereit! – Das wirst du auch
nie sein. Also bring es einfach hinter dich. Je eher, desto besser.
    Ich wusste, dass
mein besseres Ich recht hatte. Die Zeit heilte keine Wunden, aber ich konnte
mich nicht für immer vor der Welt verstecken. Also lehnte ich Raphaels Angebot
ab, auch wenn ich dabei einen dicken Knoten im Magen spürte.
    Mike nahm mich
wie in früheren Zeiten zur Schule mit. Ohne seine Hilfe hätte ich es nicht
geschafft. Spätestens beim Anblick des Parkplatzes hätte ich die Flucht
ergriffen. Die Tränen schossen mir in die Augen, als in der vertrauten Umgebung
alle Erinnerungen ohne Vorwarnung wie eine riesige Flutwelle über mich
hereinbrachen. Automatisch suchten meine Augen den Platz nach einem schwarzen
Motorrad ab, und als mir bewusst wurde, was ich da tat, traf mich der Schmerz
wie eine Faust in die Magengrube. Stöhnend sank ich in meinem Sitz zusammen.
Mike reichte mir wortlos eine Packung

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