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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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es
unvermeidlich war. Meine Verschlossenheit nahm jedem schnell die Lust, sich
näher mit mir zu beschäftigen. Ich funktionierte. Mehr nicht. Mehr erwartete
ich auch nicht.
    Insgeheim
wunderte ich mich nur, dass Mike unerschütterlich zu mir hielt. Ich hing ihm
wie ein Klotz am Bein, aber er machte keinerlei Anstalten, sich zurückzuziehen.
Tag für Tag, Pause für Pause wartete er auf mich und schirmte mich von allen
Anderen ab. Schließlich war ich selbst es, die es für nötig hielt, ihm ein
Stück seiner Freiheit zurückzugeben. „Du kannst dich nicht immer und
ausschließlich nur um mich kümmern, Mike. Du musst auch mal wieder an dich
selbst denken.“ Es war Mittagspause an einem Donnerstag Ende Januar, und wir
verbrachten sie wegen extrem schlechten Wetters ausnahmsweise mal nicht
draußen, sondern versteckten uns in einem gerade unbenutzten Übungsraum.
    „Mach dir keine
Gedanken um mich“, wehrte er ab. „Ich komm schon zurecht. Du bist im Moment
wichtiger.“
    „Ich schaff das
schon. Zugegeben, nicht besonders gut. Aber es bringt doch nichts, wenn ich
dich auch noch mit runterziehe.“
    „Du ziehst mich
nicht runter“, wehrte er sich. „Ich bin sehr gern mit dir zusammen. Du bist wie
eine Schwester für mich. Und meine beste Freundin.“
    Vor Rührung
stiegen mir die Tränen in die Augen. In einer Aufwallung von Zärtlichkeit
drückte ich ihn rasch an mich, ließ ihn jedoch gleich wieder los. Ich wollte
ihn ja schließlich überzeugen, sich wieder etwas mehr Freiraum zu gönnen.
    „Schau mal,
großer Bruder “, bemühte ich mich um einen möglichst lockeren Ton, „ich
hab dich ja auch wirklich gern um mich, du bist der einzige Lichtschein an
jedem einzelnen trüben Tag, aber trotzdem möchte ich, dass du dich nicht die
ganze Zeit nur um mich kümmerst. Ich kann das mit meinem Gewissen einfach nicht
vereinbaren. Am Ende bin ich Schuld, wenn aus dir mal ein alter, einsamer
Junggeselle wird, der mir bis an mein Lebensende am Rockzipfel hängt. Das
könnte ich wirklich nicht ertragen. Also sieh zu, dass du heute endlich mal
wieder zum Karatetraining gehst. Ich finde schon allein nach Hause. Und wenn
nicht, warte ich einfach auf dich.“
    Beim Gedanken
daran, zwei Stunden lang allein irgendwo auf dem verlassenen Schulgelände in
der einsetzenden Dämmerung auf ihn zu warten, wurde mir ganz anders, aber ich
bemühte mich, ihn das nicht merken zu lassen.
    „Komm doch mit!
Bitte! Dir täte es auch gut, endlich mal wieder was für dich zu tun!“
    Oh nein. Jetzt
fing er wieder damit an. Diese Diskussion hatten wir schon mehrere Male
geführt, und es war der einzige Punkt, über den wir uns ernsthaft stritten.
Mike war der Meinung, dass ich mich anstellte, wenn ich nicht wieder zum Karate
ging. Mein Argument, dass es mich viel zu sehr an ihn erinnern würde,
ließ er nicht gelten. „Zu Geschichte gehst du doch auch“, wandte er stets ein,
und leider konnte ich ihm da nicht widersprechen. Allerdings kostete es mich
immer noch meine ganze Kraft, und ich ertrug es auch nur, weil Miss Urquhart,
die offenbar mehr mitbekam, als ich ihr zugetraut hätte, in meiner zweiten Woche
unter einem Vorwand die Sitzordnung geändert und ich nun keinen leeren Stuhl
mehr neben mir hatte, der mich die ganze Zeit anstarrte. Sie hatte einfach
alles komplett umgebaut, und so war ihr Klassenraum nun nur noch einer von
vielen für mich.
    „Ich kann nicht.
Bitte fang nicht immer wieder davon an!“, entgegnete ich Mike.
    Doch so schnell
gab der nicht auf. „Probier’s doch wenigstens mal! Wenn’s nicht geht, können
wir ja sofort wieder verschwinden!“
    „Nein.“ Ich
schüttelte trotzig den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Bitte!“ Mike
legte den Kopf schief und setzte seinen treuesten Dackelblick auf, aber ich
blieb hart.
    „Ich geh da
nicht mehr hin.“
    „Okay, kein
Problem.“ Sein plötzlicher Meinungsumschwung brachte mich aus dem
Gleichgewicht. Das war neu. Normalerweise argumentierte er endlos weiter, bis
ich ihn irgendwann einfach stehen ließ. Oder mir die Tränen kamen. „Dann lass
ich es eben auch bleiben. Ohne dich gehe ich nicht. Wenn du dir also ernsthaft
Sorgen um mein Wohlergehen machst, musst du mitkommen.“
    Ich starrte ihn
erzürnt an. Dieser Schuft! „Das ist Erpressung!“
    „Wohl eher
Nötigung“, stimmte er mir zu, frech grinsend.
    Ich kniff die
Lippen zusammen. „Du sollst doch gerade wieder etwas ohne mich machen!“
    „Mach ich aber
nicht!“
    Ich gab auf.
Wenn er

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