Hinter der Nacht (German Edition)
dagegen
sträubte.
In diesem Moment
entschied ich mich, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Es war gar nicht von
Bedeutung, wessenKind sie trug. So oder so konnte das nur gewesen sein,
bevorsie mich getroffen hatte. Und jetzt war sie zu mirzurückgekehrt.
Ich schaute sie
an, die Frau, die von nun an für immer zu mir gehörte. Wir tauschten einen
langen Blick, in dem all die unausgesprochenen Worte lagen, die ich ihr später
einmal sagen wollte. „Claire“, flüsterte ich, und Tränen liefen mir die Wangen
hinunter. „Was soll ich tun?“
„Halt mich nur
fest“, wisperte sie. Dann redeten wir nicht mehr. Ich saß wie festgeschweißt
neben ihr, so nah, dass ich ihre Schmerzen fast selber spürte. Jedes
Verkrampfen, jedes Zittern übertrug sich auf mich. Aber ich spürte auch die
ungeheure Stärke, die in ihr steckte. Ihren unbezwingbaren Willen. Sie machte
alles allein. Ich konnte ihr kaum helfen, da meine Hand unlösbar mit ihrer
verbunden war. Wie lange es dauerte… Ich weiß es nicht. Jede Sekunde hätte eine
Stunde sein können, und doch wurde es draußen nicht heller, als wäre die Zeit
um uns herum stehengeblieben.
Doch irgendwann
wurde der Bann gebrochen. Plötzlich war eine neue Präsenz im Raum zu spüren. –
Naja, den Rest der Geschichte kennst du.“
Das plötzliche
Ende traf mich genauso unerwartet wie Mike. Die Wirkung, die diese Erzählung
auf mich hatte, war unbeschreiblich, und doch ließ sie mich unbefriedigt
zurück. Ich zumindest kannte den Rest der Geschichte nicht. Aber auch
Mike sah nicht so aus, als wolle er seinen Vater so davonkommen lassen.
Verständlich, denn seine Welt war in ihren Grundfesten erschüttert worden. Ihm
musste jetzt klar sein, dass alles, was sein Vater ihm vorher über seine Geburt
erzählt hatte, gelogen war.
„Warum?“ Mikes
Stimme, obwohl nur ein Flüstern, spiegelte seine ganze Enttäuschung. „Warum die Maid of the Mist ?“
„Ich wollte so
nah wie möglich bei der Wahrheit bleiben. Deine Mutter – sie – sie wollte
nichts mit den Behörden zu tun haben. Sie – hatte ihre Gründe. Und ich musste
doch deine Anwesenheit irgendwie erklären.“
Raphael wusste,
dass er nicht in Lochmaddy bleiben konnte, weil er die plötzliche Anwesenheit
eines Babys dort niemals hätte erklären können ohne die dazugehörige Mutter
vorzuweisen. Er ging nach Skye, besorgte sich gefälschte Papiere für den
kleinen Michael und kehrte dann mit ihm zu seinen Eltern nach Glasgow zurück.
Von dort zogen die beiden später nach Inverness.
„Und Claire?“
„Sie – ging von
uns. Kurz nach deiner Geburt. Das weißt du doch.“
Mike sah aus,
als wollte er noch etwas sagen, doch er blieb stumm. Auch Raphael saß in seine
Erinnerungen versunken in seinem Sessel.
Ich brauchte
eine Weile, bis ich meine Gedanken soweit geordnet hatte, dass mir wieder
einfiel, wieso Raphael uns all das überhaupt erzählt hatte. Dann jedoch
verstand ich gar nichts mehr.
Vorsichtig
tastete ich mich vor: „Also, ich muss schon sagen, deine Geschichte hat mich
wirklich berührt, aber…“ Ich machte eine Kunstpause, und immerhin hatte ich
seine Aufmerksamkeit soweit erregt, dass er mich fragend anblickte. „…ich
verstehe nur nicht ganz, was das alles mit mir zu tun hat.“
„Mit dir?“
Raphael blickte mich an, als sei ihm völlig entfallen, wer ich überhaupt war.
„Ja, ich meine –
was hat das mit meiner Entführung zu tun? Mit der Zeit ?“
Verstehen kehrte
in seinen Blick zurück. Er hob die Augenbrauen. „Oh, das meinst du. Ich
dachte, das wäre klar.“ Offensichtlich zeigte ihm mein Ausdruck, dass es das
nicht war, denn er fuhr fort: „Vielleicht hab ich es ja nicht erwähnt, aber ist
euch nicht aufgefallen, warum ich zuerst einfach nicht glauben konnte, dass ihrKind auch meinswar?“
Ich schüttelte
ratlos den Kopf, aber Mike schaltete schneller. Er schlug sich an die Stirn:
„Na klar! Es waren nur drei Monate!“
„Genau!“ Raphael
nickte bestätigend, aber ich kapierte immer noch nichts.
„Was waren nur
drei Monate?“
„Vom ersten
Treffen bis zum Wiedersehen!“, rief Mike aufgeregt. „Das waren nur drei Monate!
Aber – das verstehe ich jetzt wirklich nicht.“ Ich sah, wie ihm alles Blut aus
dem Gesicht wich. „Dann – kannstdu doch gar nicht mein Vater sein!“
Doch Raphael hob
beschwörend die Hände. „Oh doch, das bin ich. Dein Vater, im wahrsten Sinne des
Wortes. Und, mal abgesehen von meiner allerersten Reaktion, habe ich nie auch
nur den
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