Hinter der Nacht (German Edition)
vergangen, und theoretisch
konnten sie zu jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb dieser Zeitspanne hier
vorübergekommen sein. Da wir jedoch unmöglich wochenlang jede Minute überwachen
konnten, mussten wir versuchen, den genauen Zeitpunkt so weit wie möglich
einzugrenzen.
Zum Glück hatte
Mike mittlerweile einigen Durchblick auf diesem Gebiet. „Okay, lass es uns
logisch angehen“, sinnierte er, nachdem wir es uns unter den Tannen
einigermaßen bequem gemacht hatten. „Du bist am 5. November am späteren Abend
verschwunden. Dann sind sie gleich losgefahren, oder?“
Ich nickte.
„Genau. Und es ging schnurstracks raus aus Inverness und dann Richtung Osten.“
„Wie lange wart
ihr deinem Gefühl nach unterwegs bis zu den Klippen?“
„Etwa zwei,
vielleicht drei Stunden, schätze ich.“ Darüber musste ich nicht lange
nachdenken, das hatte ich bereits damals im Krankenhaus und in den Wochen
danach zur Genüge getan.
„Gut. Seid ihr
sofort durch die Zeit gefahren?“
Ich zog eine
Grimasse. „Woher soll ich das denn wissen?“
Erstaunt sah er
mich an. „Das merkt man doch!“
Jetzt war ich
erstaunt. „Tut man das? Woran?“
„Na, weil sich
Tag und Nacht viel schneller abwechseln! Das musstdu doch mitbekommen
haben!“
„Oh!“ Ich war
einen Moment sprachlos. Schon wieder eine ganz einfache Antwort für ein mir
bislang unerklärliches Phänomen. „Na klar! Deshalb sah es aus, als stünde der
Himmel in Flammen! Die Sonne ist über ihn dahin gerast! Und dieser schnelle
Wechsel von hell und dunkel! Wie ein Sekundenlicht in der Disco!“
„Das meinte
ich!“, stimmte er mir zu. „Also, wann fing das etwa an?“
„Hmm. Warte
mal…“ Ich versuchte mich zu erinnern. „Spätestens, als wir aus der Stadt raus
waren, glaube ich. Und es endete erst kurz vor den Klippen.“
„Hat sich das
Tempo verändert oder blieb es ungefähr gleich?“
„Eher gleich“,
meinte ich nach kurzem Nachdenken.
„Das heißt also,
sie sind in gleichbleibendem Tempo die ganze Strecke über durch die Zeit
gefahren. An dieser Stelle hier beginnt etwa das letzte Viertel der
Gesamtstrecke, würde ich schätzen. Das würde dann heißen, dass sie hier so
ungefähr drei Wochen nach der Entführung vorbeikommen müssen, also Ende
November.“
Genauer ließ
sich die Zeit nicht eingrenzen, und so machten wir uns auf den Weg. Zunächst
setzten wir uns nochmals auf das Motorrad und fuhren so lange auf dem Parkplatz
hin und her, bis die Datumsanzeige an Mikes Armbanduhr den 20. November
anzeigte. Wir hatten das Datum mit Absicht einige Tage vor dem vermuteten
Zeitpunkt gewählt, um den Wächtern nicht unvorbereitet in die Arme zu laufen.
Dann stellten wir die Maschine wieder ab und begaben uns zurück auf unseren
Beobachtungsposten. „Tja, und jetzt heißt es Geduld haben“, seufzte Mike. „Das
kann eine lange Zeit werden.“
Und es wurdeeine
lange Zeit, eine sehrlange sogar, die sich durch meine zunehmende
Ungeduld gefühlsmäßig noch einmal mindestens verdoppelte. Natürlich taten wir
unser Bestes, sie so weit wie möglich zu beschleunigen, indem Mike mich zu Fuß
durch die Tage und Nächte geleitete, was ich mittlerweile auch mit offenen
Augen schaffte, ohne ihn zu behindern. Aber da wir jede Sekunde Ausschau halten
mussten, um die Gesuchten nicht am Ende zu übersehen, und gleichzeitig auf
keinen Fall selber gesehen werden durften, kamen wir nur verhältnismäßig
langsam vorwärts.
In den nächsten
Stunden sah ich diverse Sonnenauf- und -untergänge, erlebte alle paar
Gehminuten einen Wetterumschwung, wurde nass, vom Wind durchgepustet, von der
Sonne geblendet, eingefroren, verschneit, wieder aufgetaut, sah alle möglichen
Fahrzeuge im Zeitraffer vorbeirasen, während meine Beine schwerer und schwerer
wurden - aber es war kein einziges Motorrad, weder mit noch ohne Beiwagen,
darunter. Wie ich schon früher festgestellt hatte – ein solches Fahrzeug war
wirklich kein geeignetes Fortbewegungsmittel für das schottische Klima, erst
recht nicht im Winter.
Schließlich, als
ich das Gefühl hatte, keinen einzigen Schritt mehr gehen zu können, ohne
zusammenzubrechen, ließen wir uns enttäuscht auf den momentan gerade trockenen
Waldboden niedersinken.
„Welches Datum
haben wir?“, fragte ich Mike, nachdem ich wieder einigermaßen zu Atem gekommen
war.
Er zog seine Uhr
zu Rate. „Schon den 29. November“, stellte er fest.
„Meinst du, wir
haben sie verpasst? Vielleicht sind sie ja doch eine andere Strecke
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