Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
Vom Netzwerk:
die nach ihr schnappen. Sie ist erst seit knapp einem Monat bei mir in Behandlung.«
    »Aber Sie müssen doch eine Vorstellung von ihrem Zustand haben!«
    »Ich habe gewisse Vorstellungen. Aber ich habe noch nicht alle Tatsachen.«
    Vanner musterte ihn jetzt ohne seine steinerne Reglosigkeit; sein Blick war offen abschätzend. »Um ehrlich zu sein«, sagte er, »gibt es vielleicht doch eine Möglichkeit, daß Sie uns helfen können.«
    »Ich?« fragte Steve. »Wie? Ich tue alles.«
    »Gail Gunnerson hat die Art Problem, die einen ›Durchbruch‹ erfordert, wenn Sie verstehen, was ich meine. Vielleicht eine ganze Reihe Durchbrüche. Sie leidet an etwas, das wir ›begrenzte Amnesie‹ nennen. Das heißt, es gibt schwarze Löcher in ihrem Gedächtnis, die ihre Existenz bedeutsamen Gründen verdanken.«
    »Sie hat davon gesprochen.«
    »Wirklich?« Vanner beugte sich mit aufflammendem Interesse vor.
    »Sie hat nur gesagt, es gebe in ihrer Kindheit Dinge, an die sie sich nicht erinnert. Ich hätte das allerdings kaum für ›bedeutsam‹ gehalten. Das einzige, woran ich mich aus der Zeit vor meinem sechsten Lebensjahr erinnere, war der Tag, an dem ich meinem Vater heißen Kakao in den Schoß schüttete, und sein Schrei: ›Jenny, er hat mein bestes Stück ruiniert!‹«
    »An Ihrer Kindheit bin ich nicht interessiert. Nur an der von Gail.«
    »Nun, zum einen hat sie keine Erinnerung daran, wo und wie ihre Mutter Selbstmord beging. Die schlimmen Einzelheiten erfuhr sie erst in der Nacht, als sie glaubte, ihre Mutter auf dem Boden hängen zu sehen.«
    »Das muß nicht unbedingt zutreffen. Hätte sich um eine vergrabene Erinnerung handeln können. Tatsächlich muß ich das sogar als gegeben ansehen, in Anbetracht der Tatsache, daß ihre Halluzination so detailliert war.«
    Steve runzelte die Stirn. »Sie verwenden das Wort ›Halluzination‹.«
    »Und sie verwendete das Wort elektrische Schnur, als sie ihre Beobachtung beschrieb. Wäre es nicht logischer gewesen anzunehmen, daß sich ihre Mutter mit einem Seil erhängt hat?«
    »Okay, und wenn sie die Erinnerung nun wirklich verdrängt hätte? Ist es nicht besser, daß sie das getan hat?«
    »Ja«, sagte Vanner. »Es gibt Tatsachenverdrängungen, die eine gesunde Wirkung haben – aber auch ungesunde.«
    »Zum Beispiel?«
    Vanner nahm einen Bleistift zur Hand und klopfte damit auf den Tisch. »Die Tür«, sagte er.
    »Was für eine Tür? Die Tür zu Gails Schlafzimmer?«
    »Hat sie Ihnen nichts davon erzählt? Über die Angst, die sie hinsichtlich dieser Tür hat?«
    »Ich weiß, daß sie sie immer abschließt, aber das ist alles.«
    »Hat sie Ihnen nicht von dem Abend erzählt, als ihre Mutter starb? An dem Abend, als sie etwas so Schreckliches erlebte, daß sie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen werden mußte?«
    Steve zögerte. »Ich weiß, daß sie als Kind krank gewesen ist. Ich weiß, daß diese Krankheit mit dem Selbstmord ihrer Mutter zu tun hatte, aber das ist ja wohl kaum überraschend, oder? Kurze Zeit davor war ihr Vater gestorben. Ihre Mutter geht geistig aus dem Leim und nimmt sich das Leben. Wie ausgeglichen kann man da im Alter von sechs Jahren noch sein?«
    Vanner legte den Bleistift auf den Tisch und ließ ihn herumwirbeln. Als das Holz zum Stillstand kam, war das angespitzte Ende auf Steve gerichtet. »Was hat sie Ihnen von der Tür erzählt?« fragte er.
    »Nichts.«
    »Wußten Sie nicht, daß Gail annimmt, die Tür habe sich in der damaligen Nacht geöffnet? Und irgendein Ding sei über die Schwelle gekommen, ein Ding, das einen so schrecklichen Anblick bot, daß sie einen Schleier vor die Erinnerung gezogen hat, einen Schleier, der bis heute nicht gelüftet worden ist?«
    »Nein«, sagte Steve. »Sie hat das mit keinem Wort erwähnt. Hat sie‘s Ihnen gesagt?«
    »Nein, ich schließe nur indirekt aus Gails Angaben darauf. Und, das muß ich zugeben, aus Informationen, die ich in ihrer alten Krankengeschichte gefunden habe. Wie Sie wissen, ist Miss Gunnersons Akte ziemlich dick.«
    »Na und? Sie hat also einen schlimmen Traum gehabt, der sie sehr erschreckt hat.«
    »Sie wissen doch, was ein Trauma bedeutet, nicht wahr?«
    »Sicher weiß ich, was es bedeutet. Aber ich weiß auch, was neunzehn Jahre in einem Leben ausmachen. Und so alt ist der Traum inzwischen.«
    »Die Ärzte in der Mead-Klinik haben die Einzelheiten des Traums nicht in Erfahrung bringen können. Sie konnten ihn also auch nicht analysieren. Gail Gunner- sons Unterbewußtsein

Weitere Kostenlose Bücher