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Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Anzeige aufgäbst – ›Reiche junge Dame sucht Verwandte‹ – hättest du sofort tausend Vettern dritten Grades.«
    »Nein«, sagte Gail. »Da ist niemand mehr, Steve. Vielleicht ist das überhaupt die Ursache meiner neurotischen Probleme. Vielleicht verliert ein Mensch den Boden unter den Füßen, wenn er keine menschlichen Bindungen mehr hat, und fliegt davon wie ein Ballon … Ich muß Dr. Vanner mal danach fragen.«
    Jetzt war es an Steve, das Sofa zu verlassen. Er ging zum Kamin und betrachtete die frischen Holzstücke, die Mrs. Bellinger auf den Rost gelegt hatte. Als wollte sie weitere sommerliche Feuer verhindern, hatte sie gefaltete Papierfächer zwischen die Scheite gesteckt.
    »Du hältst viel von deinem Psychoanalytiker, nicht?«
    »Offen gesagt ja.«
    »Würdest du dich sehr aufregen, wenn ich dir sage, daß ich ihn besucht habe?«
    Ihr Schweigen veranlaßte ihn, sich umzudrehen. »Vielleicht hat er schon davon gesprochen«, fuhr Steve fort.
    »Nein.« Ein Anflug von Frostigkeit. »Hast du ihn gebeten, mir nichts zu sagen?«
    »Ich glaube, ich habe so etwas angedeutet.«
    »Nun, er ist deiner Bitte nachgekommen. Würdest du mir jetzt eine Bitte erfüllen?«
    »Natürlich.«
    »Sag mir, warum du so etwas getan hast, sprich ganz offen. Bist du im Interesse der Bank zu ihm gegangen, oder meinetwegen?«
    »Willst du die Wahrheit wissen? Ich bin um meinetwillen gegangen. Ich wollte sehen, was ich über dich erfahren konnte, über das Problem, mit dem du dich herumschlägst. Und über mein Problem.«
    »Was ist das für ein Problem?«
    »In diesem Zusammenhang wollte ich eigentlich nicht davon sprechen.«
    »Aber wir reden ja schon davon.«
    »Ein kalter Kamin hat etwas Trauriges«, sagte er. »He, was sollen all die Papierfächer? Sieht sehr viktorianisch aus.«
    »Gibst du mir bitte eine Antwort?«
    »Sollen wohl zum Feueranmachen dienen, nicht wahr? Wenn man Papier faltet, brennt es länger.«
    »Steve!«
    »Also gut!« brüllte er zurück. »Ich habe mich gefragt, ob ich ein guter oder schlechter Einfluß für dich bin. Und wohl auch umgekehrt – obwohl unsere Beziehung genau genommen nicht sehr lasterhaft gewesen ist.«
    »Hast du deshalb Dr. Vanner aufgesucht? Um dich über meinen kalten Kamin zu beklagen?«
    »Ich wollte ihn mir nur mal anschauen, das ist alles. Es wird dich freuen zu hören, daß er zu den Ethischen gehört. Wollte seine Patientin nicht mit mir durchhecheln. Er hat dich sogar so gut beschützt, daß mir gleich ein paar Ahnungen gekommen sind.«
    »Was meinst du?«
    »Ich glaube, du gefällst ihm – und nicht nur wegen deiner Krankheit. Hast du nicht gesagt, er wäre Junggeselle?«
    Sie musterte ihn mißtrauisch. »Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll. Mein Instinkt verrät mir, daß du nur ablenken willst.«
    »Da wir schon von Ablenken sprechen«, sagte Steve. »Ich kann kaum noch an etwas anderes als meinen Hunger denken. Hast du nicht gesagt, du wolltest das sze- chuanische Restaurant mit mir ausprobieren? Warum versuchen wir‘s nicht mal?«
    »Nein«, sagte Gail tonlos. »Ich habe keine Lust auf scharfe Sachen. Und wenn du das im doppelten Sinn verstehen willst, Mr. Tyner, bitte sehr.«
    »Du hast keinen Grund, wütend auf mich zu sein.«
    »Ach, nein?«
    »Gail, um Himmels willen, ich habe nicht mit Vanner gesprochen, weil die Fiduciary das wollte. Komm, laß uns heute abend noch mal ganz von vorn anfangen.«
    »Du hast mich gar nicht gefragt, ob ich nicht etwas anderes vorhätte«, bemerkte Gail. »Dabei wollte ich eigentlich Helen besuchen. Ich habe dir schon erzählt, daß sie sehr deprimiert gewesen ist. Sie hat mich gebeten, über Nacht bei ihr zu bleiben – und das werde ich wohl auch tun.«
    »Ich dachte, du wärst auch deprimiert. Wegen deines Onkels.«
    »Gleich und gleich gesellt sich gern«, sagte Gail.
    »Das ist das falsche Sprichwort«, erwiderte Steve. »Du meinst: Wenn man betrübt ist, hat man gern Gesellschaft.« Und er sah selbst ganz betrübt aus, als Gail zum Telefon ging.
    Das Haus, in dem Helen Malmquist eine Wohnung gemietet hatte, lag auf der West Side, ein langweiliger Steinkasten, der in seinem Mangel an Charakter deprimierend war. Gail bedauerte ihre Entscheidung, als der hemdsärmelige ›Portier‹ sie mit einem wollüstigen Lächeln begrüßte. Unter dem Arm trug er eine Papiertüte, in der sich offenbar eine Weinflasche befand. Aber Helen war am Telefon so außerordentlich dankbar gewesen für ihren Besuch, daß Gail sich auf einen Abend

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