Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
Vertreterin – ich gebe ihr den Namen Helen F. – hielt dagegen, dass Waltraud ihr am Anfang wenig Vertrauen entgegengebracht habe. Sie habe sich kontrolliert gefühlt und im Schatten der abwesenden und sich immer wieder einmischenden Gründerin nicht gut arbeiten können. Ich arbeitete im Beisein des Teams an diesem Konflikt, der sich durch ein hohes Unwohlsein der betroffenen Mitarbeiterinnen ausdrückte. Ich animierte sie, möglichst ehrlich über ihre Empfindungen und die erlebte Vergangenheit zu sprechen, und stellte mich selbst dabei mal auf die eine und mal die andere Seite, um mit ihnen gemeinsam herauszufinden, was die jeweilige Seite jenseits der Worte wirklich wollte und welche Rollengeschichten sich dahinter verbargen. Das Ergebnis war für die Mitarbeiterinnen verblüffend: Die Gründerin Waltraud K., die gleichzeitig auch die inoffizielle Chefin der Einrichtung war, aber aus Gründen der politischen Korrektheit nicht als solche benannt werden durfte, war ohne offizielle Verabschiedung und ausgesprochene
Anerkennung in die Elternzeit gegangen. Sie hätte es gebraucht, dass der Vorstand ihre besondere Leistung einmal herausgestellt und offen anerkannt hätte. Aber das hätte sie wahrscheinlich als Teamleiterin selbst veranlassen müssen. Da das nicht ging, weil es die Rolle der Leiterin nicht gab, war keine Leiterin gegangen oder verabschiedet worden und auch keine gekommen, und so mischte sich Waltraud K. in alter Verantwortlichkeit in den Alltag der Beratungsstelle hinein. Hätte sie die Rolle der Chefin oder Teamleiterin einnehmen können und wäre außerdem in dieser Rolle anerkannt und wertgeschätzt worden, dann hätte sie gut die Mentorin statt die »Kontrolleurin« der neuen Mitarbeiterin sein und sich aus vielem auch heraushalten können. Ihre Vertreterin Helen konnte am Ende des Gespräches Mitgefühl für die andere haben, aber auch für sich selbst, weil auch sie so wenig in ihrem Engagement und ihrer aufreibenden Leitungstätigkeit geschätzt wurde.
Das ist ein schönes Beispiel, wie Rollen, die nicht eingenommen werden, sich ihren Raum dennoch schaffen und auf sich aufmerksam machen. Schauen wir nur auf das, was die Menschen da tun, geben wir uns der Illusion hin, eine von beiden müsste doch Recht haben oder bekommen. Aber egal, wie seltsam sich die Protagonisten einer solchen Geschichte benehmen, die Rollen im Hintergrund sprechen die Wahrheit mit im Grunde genommen deutlichen Gesten und Stimmen aus. Die Rolle einer Chefin, die keine sein darf, sagt: »Ich gehe hier nicht weg, bis ihr mich seht und anerkennt. Ich überlasse diese wichtige Arbeit nicht irgendeiner neuen Mitarbeiterin.« Die Rolle der neuen Mitarbeiterin hätte auch deutlicher beschrieben werden müssen, damit sie sich in der Rolle wohl fühlen kann. Von außen betrachtet sieht das einfach aus, und
wir denken: Was machen die denn da? Aber schauen wir uns die Rollen und die mit ihnen verknüpften Verhaltensweisen und Wünsche an, verstehen wir die Menschen und ihre möglicherweise unvernünftigen Verhaltensweisen plötzlich. Gegenseitiges Mitgefühl konnte in diesem Konfliktgespräch entstehen, die beiden Mitarbeiterinnen arbeiten jetzt gut zusammen, interessante Veränderungsprozesse wurden und werden noch angeschoben.
Ich halte das Rollenkonzept für äußerst hilfreich, weil es die Rollen nicht mit den sie besetzenden Menschen gleichsetzt, was zu heillosen Schwierigkeiten führen kann. Würde die Rolle wie eine Figur aufgefasst, die in einem Theaterstück von einem Schauspieler, der sie hoffentlich gut spielt, zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gruppe und an einem nicht verwechselbaren Ort besetzt wird, dann bräuchten wir alle weniger Angst zu haben, die Konflikte und Streits, in die diese Rollen hineingeraten, anzuschauen. Wir wüssten dann, dass die Motivation für einen Konflikt keine rein persönliche ist, sondern die Energie immer auch etwas mit den anderen zu tun hat. Wir könnten dann diesen Rollen besser helfen, Entwicklung voranzutreiben, Wünsche zu entfalten oder was auch immer gerade passieren will.
Wenn wir von Rollen sprechen, setzen wir die Menschen nicht mit ihren Verhaltensweisen gleich und finden schneller heraus, was sich verändern will.
Einmal erlebte ich, wie ein Freund, er ist Leiter einer Weiterbildungseinrichtung, veranlasste, dass einer der bekannteren Seminarleiter zu Beginn der jährlichen Seminarreihe eine Lobrede auf ihn hielt. Dieser Mann sorgt gut für sich, er macht auf
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