Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
andere auswirkt«, schreibt Arnold Mindell in Mitten im Feuer . Er beobachtete, dass besonders liberale Menschen aus den Mittelschichten Nordamerikas und Westeuropas Rangthemen marginalisieren bzw. an den Rand stellen und damit unbewusst rassistisch sind. Rang wird zum Doppelsignal, das wir unbeabsichtigt und unbemerkt ständig aussenden. Interessant ist es, dass alleine der Gesprächsstil, der in diesen Ländern favorisiert wird – »höflich sein, Zuversicht ausstrahlen und leise sprechen« – andere zur Anpassung zwingt, wenn sie gehört werden wollen.
Wir können Rang nicht loswerden, aber gut damit umgehen.
Fallbeispiel
Was ein unbewusster Umgang mit Rang anzurichten vermag, möchte ich in einem Beispiel aus meinem Arbeitsleben erzählen. Anfang der neunziger Jahre arbeitete ich als Medienpädagogin im Offenen Kanal in Essen und wollte besonders ausländische Frauen fördern und sie ausbilden, dass sie ihre eigenen Filme drehten und auf diese Weise auf ihre Situation, ihre Gedanken und Lebenswege aufmerksam machten. Ich plante einen Themenabend
über Frauen im Ruhrgebiet. Filme von und über das Leben von Migrantinnen sollten ein Schwerpunkt in der Sendung sein. Ich war überzeugt, ein guter Mensch zu sein, weltoffen und natürlich alles andere als eine Rassistin. Und trotzdem: Mit meiner ausländischen Frauengruppe hatte ich nur Probleme. Mir wurde offen Rassismus und Besserwisserei unterstellt. Ein dreitägiges Seminar an der holländischen Grenze wurde für mich zum Martyrium. Ich zog mich zurück, hatte keine Lust mehr auf ihre Tänze in der Freizeit, was sie dann auch typisch fanden und sie darin bestätigte, dass die Deutschen eben nicht so feiern können wie die Türkinnen oder Kurdinnen, die sie waren. Heute verstehe ich sie. Ich bin unbewusst mit meinem eigenen Rang umgegangen und habe zu wenig darauf aufmerksam gemacht, dass es zwischen mir und ihnen Unterschiede gibt. Was mir nicht bewusst war und ich auch nicht herauskehren wollte, war Folgendes: Als deutsche weiße Frau genieße ich in Deutschland einen anderen Status als eine Frau türkischer oder kurdischer Herkunft, auch wenn sie kein Kopftuch trägt. Ich werde anders angeschaut und kann mich sicherer und selbstbewusster fühlen. Diese und noch viele andere Unterschiede kann ein Film nicht ausbügeln. Besonders in den Jahren nach der Wiedervereinigung fühlten sich viele ausländische Menschen in Deutschland nicht sicher. Eine Serie von Brandanschlägen Anfang der neunziger Jahre hatte die Menschen mit Migrationshintergrund nachhaltig verunsichert.
Ein Weg aus der Krise mit den Frauen wäre gewesen, ihnen zuzustimmen. Sie hatten Recht: Ich kann sie und mich nicht gleich machen. Aber ich kann meinen in dieser Gesellschaft höheren Rang annehmen und mich bewusst – politisch, menschlich oder in den Medien – dafür einsetzen, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich in unserer Gesellschaft angenommen und wohl fühlen können. Dies habe ich später auch getan. Zum Beispiel habe ich eine Zeit lang für die Sendung Nachbarn beim ZDF gearbeitet. In diesem Zusammenhang fällt mir noch eine Geschichte ein: 1994 drehte ich für diese Sendung einen
Magazinbeitrag über die Empfindungen von ausländischen Mitbürgern ein Jahr nach Solingen. Nach einem verbrecherischen Brandanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genc in Solingen waren am 29. Mai 1993 fünf Menschen ums Leben gekommen. Dieser Vorfall war einer der grausamen Höhepunkte des gewalttätigen Rassismus, der sich 1992 und 1993 in Deutschland gegen Menschen ausländischer Herkunft richtete.
In diesem Filmbeitrag gibt es ein Interview mit meinem aus Argentinien stammenden früheren Mann Germán Wiener. Er zeigte mir und dem Kamerateam ein Seil, das er an der Heizung unseres Schlafzimmers befestigt hatte. Sollte es zu einem Anschlag kommen – in unserem Haus in Bochum lebten viele Menschen mit Migrationshintergrund und im Erdgeschoss gab es einen türkischen Lebensmittelladen -, könnten wir uns schnellstmöglich abseilen und damit unser Leben retten, kommentierte er den Zweck des Seils und zeigte uns genau, wie er es im Notfall über die Fensterbrüstung werfen konnte und wie lang es war. Ich begriff so richtig erst beim Anblick des knapp über dem Boden baumelnden Seils, zu welchem Zweck er dieses Seil angebracht hatte und dass es in der Gefahr auch mein Rettungsseil wäre. Vorher war mir nicht wirklich klar gewesen, dass es für mich und für meinen Mann einen Unterschied
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