Hinter verschlossenen Türen
sie erst vor wenigen Minuten zurückgekehrt sein und in diesem Fall –
Sie sind gänzlich im Irrtum, werter Herr, unterbrach ihn Frau Gretorex; meine Tochter ist seit Mittag wieder zu Hause; sie kam mit ihrer Kousine aus Montclair zurück, als wir eben anfangen wollten, uns ihretwegen zu beunruhigen. Daß sie mit ihrer Toilette noch nicht fertig ist, hat einen ganz anderen Grund; ich glaube, ihr Schleier mußte noch einmal gesteckt werden.
Des Doktors Erstaunen war grenzenlos.
Ist es denn Wahrheit, was Sie reden? fragte er. Wie kann Ihre Tochter seit Mittag hier im Hause sein, da ich Sie noch vor einer Stunde im C-Hotel gesehen habe? Sie wollen mich hintergehen. Obgleich ich Ihre Tochtervon Grund meines Herzens bemitleide, kann ich sie doch nicht heiraten. Diese späte Rückkehr zu ihrer Pflicht ist nur ein neuer Beweis für ihr verstecktes, doppelzüngiges Wesen.
Jetzt war die Reihe, sich zu entsetzen, an Frau Gretorex. Sie starrte den Doktor au, als habe er den Verstand verloren und trat dann zornglühend auf Gryce zu.
Das ist Ihr Werk, rief sie entrüstet. Sie sind weiter gegangen, als Sie sollten. Haben Sie meine Depesche nicht erhalten?
Nein, gnädige Frau.
Ich habe Ihnen sofort nach der Rückkehr meiner Tochter telegraphiert. Die Sache hatte sich sehr einfach und zu allgemeiner Befriedigung aufgeklärt; es lohnte nicht mehr, ein Wort darüber zu verlieren. Sie haben aber gerade am unrechten Orte geschwatzt, während ich Ihnen Schweigen anempfahl; durch Ihre Schuld ist das Lebensglück meiner Tochter bedroht und ihr guter Ruf geschädigt. Sie haben ein Unrecht begangen, das sich nicht wieder gut machen läßt, ich werde es Ihnen nie verzeihen. Damit ließ sie den Detektiv verblüfft stehen, wandte sich zu Kameron und sagte:
Ihre Behauptung, daß Sie meine Tochter vor einer Stunde gesehen haben, ist mir unverständlich. Sie kann unmöglich begründet sein, da Genofeva nach ihrer Rückkehr heute mittag das Haus nicht mehr verlassen hat. Was aber das versteckte Wesen betrifft, über das Sie klagen, so müssen Sie wissen, daß meine Tochter sich durch die vielen Aufregungen und Vorbereitungen der letzten Zeit in ihrer Gesundheit ernstlich angegriffen fühlte. Sie hoffte, sich bei vollständiger Ruhe wieder zu erholen und kam plötzlich auf den Einfall – den sie jetzt mit uns aufrichtig bedauert – nach Montclair zu gehen, ohne jemand von ihrer Absicht in Kenntnis zu setzen. Sie hat jedenfalls ihren Zweck erreicht, denn noch nie sah ich sie so frisch und blühend,so ganz würdig, Ihre Lebensgefährtin zu werden, als in diesem Augenblick, da Sie zögern wollen, ihr die Hand zu reichen.
Statt aller Antwort wandte sich Kameron an den Detektiv.
Ist es denn möglich, daß ein Irrtum vorliegt und wir wirklich eine andere gesehen haben?
In zwei Minuten sollen Sie Gewißheit erhalten, sagte Gryce und war verschwunden.
Der Doktor verharrte regungslos und brachte kein Wort über die Lippen. Er brauchte nicht lange zu warten. Schon erschien der Detektiv wieder, machte der Dame des Hauses eine tiefe Verbeugung und flüsterte Doktor Kameron zu: Abermals ein Fall vermeintlicher Identität; alles verhält sich so, wie Frau Gretorex behauptet. Sie haben sich getäuscht und mich zum Narren gemacht; ich kann meinen Verdruß darüber nicht anders los werden, als indem ich mich schleunig entferne.
Kameron erwiderte nichts; er war außer sich vor Freude. So waren denn alle die entsetzlichen Begebenheiten der letzten vier Stunden nichts gewesen als ein leeres Possenspiel! Seine Heirat war gesichert, seine Braut fleckenlos; kein Molesworth in ihrer Vergangenheit, keine Furcht vor Eifersucht in der Zukunft. Er hätte Frau Gretorex's Knie umfassen mögen vor Zerknirschung; er stammelte Entschuldigungen, aber Worte vermochten seine Gefühle nicht auszudrücken. Er brannte vor Ungeduld, seine schöne Braut zu sehen, strahlte vor Glückseligkeit und geberdete sich wie ein Mensch, der plötzlich aus dem Abgrund der Verzweiflung auf den Gipfel der Wonne und des Entzückens versetzt worden ist.
Die Mutter, welche wohl begreifen mochte, was in seinem Innern vorging, lächelte nur und fragte, ob er sich umkleidenwollte. Dies brachte den Doktor schnell zur Besinnung.
Ich war freilich auf das festliche Ereignis weder gefaßt noch vorbereitet, entgegnete er errötend. Die Hochzeitsgesellschaft wird warten müssen, bis ich nach meinem Frack geschickt habe.
Frau Gretorex rief einen Diener herbei, dem sie die nötigen Befehle
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