Hinter verschlossenen Türen
neugierig oder teilnehmend auf sie gerichtet waren. Noch einen angstvollen Blick warf Doktor Kameron auf seine Braut. Große dunkle Ringe um die Augen ließen sie noch bleicher erscheinen, aber der entschlossene Ausdruck ihres Gesichts flößte ihm Mut ein. Ein Gemurmel durchlief den Raum.
Man reckte den Kopf und hob sich auf die Fußspitzen, um ihr Gesicht zu sehen. Sie stand mit niedergeschlagenen Augen vor dem Geistlichen. Der alte Mann hatte wohl schon viele tausend Paare in seinem Leben eingesegnet; eine bleiche Braut, ein tiefbewegter Bräutigam waren ihm nichts Absonderliches. Mit freundlicher Miene öffnete er sein Buch und begann die Trauung. Was Jawort der Braut klang so leise, daß es niemand vernahm, außer dem Prediger und dem Bräutigam, aber auch das war nichts Ungewöhnliches.
Als die Ringe gewechselt werden sollten, entstand jedoch eine Schwierigkeit. Genofeva Gretorex hatte aus irgendwelchem Grunde keine Brautjungfern bei ihrer Hochzeit haben wollen; jetzt war niemand bereit, ihr beim Ausziehen des Handschuhs zu helfen, und sie selber brachte dies in ihrer Aufregung und Hast nicht zuwege. So sah sie sich denn nach einigen fruchtlosen Versuchen genötigt, diebehandschuhte Hand auszustrecken, um den Ring in Empfang zu nehmen. Doktor Kameron ließ es ruhig geschehen, um ihre Verlegenheit nicht noch peinlicher zu machen. Er war im Begriff, sein feierliches Gelübde auszusprechen, als gerade in diesem Moment lautlosen Schweigens ein Zwischenfall eintrat, der so erschütternd wirkte, daß sich unwillkürlichjeder Kopf umwandte und manches rosige Antlitz erbleichte: ein durchdringender Schrei ward plötzlich laut, ein wilder, unheimlicher Schrei des Entsetzens. Woher kam er? Niemand wußte es. Nur namenlose Angst und Furcht konnte ihn ausgepreßt haben. Er unterbrach die festliche Stimmung auf unheimliche Weise. In äußerster Bestürzung legte Kameron den Arm um seine Braut, auf welche diese neue Erschütterung höchst nachteilig wirken mußte. Sie schien jedoch weder seiner Hilfe zu bedürfen, noch von der allgemeinen Furcht mitergriffen zu werden. Sie hob das Haupt und stand in so fester, entschlossener Haltung da, daß auch der Bräutigam neuen Mut gewann, und der Prediger die Fassung bewahrte. Nach einer kaum sekundenlangen Unterbrechung ward die heilige Handlung zu Ende geführt, und der Segen gesprochen.
Wie von einem drückenden Alp befreit, atmete die ganze Versammlung erleichtert auf. Als das Paar sich wandte, um die Glückwünsche in Empfang zu nehmen, wunderte sich natürlich niemand, die Wangen der Braut so bleich und des Bräutigams Stirn umwölkt zu sehen. Klang doch das Echo des rätselhaften Schreis noch in aller Ohren, und selbst weniger abergläubische Gemüter betrachteten den unheimlichen Vorfall als ein böses Omen.
Nur die Eltern der Braut bewahrten ihre gewohnte Ruhe und Kaltblütigkeit. Lächelnd begrüßten sie ihr Kind und schüttelten dem neuen Schwiegersohn die Hand. Als nun aber Furcht und Verwunderung zu Wort kamen und man bald hier und bald dort flüstern hörte: »Was kann es nur gewesen sein?« »Etwas Aehnliches habe ich nie gehört!« – da trat Herr Gretorex vor und erklärte:
Eine unserer Dienerinnen leidet an Nervenkrämpfen; sie hat einen Anfall bekommen und den Schrei ausgestoßen.
Schnell glätteten sich alle Stirnen bei dieser einfachen Mitteilung; Verwandte und Freunde strömten herbei,Glück- und Segenswünsche wurden laut, und die frohe Feststimmung war bald wieder hergestellt.
Nur aus den Herzen der beiden Vermählten war die Bangigkeit nicht gewichen; der Schatten, der auf ihrer Stirn lagerte, war nicht durch ein bloßes Wort zu verscheuchen. Beide mißtrauten der so glaubwürdig klingenden Erklärung. Für die junge Frau, deren Seele vor künftigen Schrecknissen zitterte, war dies endlose Händeschütteln, Lächeln und Verneigen eine furchtbare Qual. Nur die Angst, neuen Argwohn bei den Gästen zu erregen, hielt sie aufrecht. Bald aber vermochte auch dieser Gedanke ihr nicht mehr die nötige Kraft zu geben. Kameron, der sie unausgesetzt beobachtete und ihre zunehmende Schwäche bemerkte, schob ihr einen Stuhl hin mit den Worten:
Du mutest dir zu viel zu, liebes Herz. Nimm es nicht so schwer!
Bei diesem ersten Beweis zärtlicher Fürsorge flog ein glückseliges Lächeln über ihre Züge. Es verschwand aber sofort wieder und ließ sie noch bleicher und hohläugiger erscheinen als zuvor.
Ich ertrage es nicht länger, flüsterte sie; erst muß ich
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