Hinter verschlossenen Türen
Türe, die er beim Auf- und Niedergehen mit bangen Blicken streifte, plötzlich aufgesprungen und ein Schreckgespenst auf der Schwelle erschienen, es hätte ihn kaum überrascht. Und doch sagte ihm der nüchterne Verstand, daß dies alles nur ein Gebilde seiner Einbildungskraft sei. Er, als Arzt, wußte genau, welche Gewalt derartige Wahnvorstellungen über den Geist eines Menschen erlangen können, dessen Nerven durch so mächtige Eindrücke erschüttert worden sind, wie die seinen in denletzten Stunden. In jenem Zimmer geschah vielleicht in Wirklichkeit nichts anderes, als daß die Person, welche er hatte eintreten sehen, die letzte ordnende Hand an den Anzug der Braut legte, eine widerspenstige Haarlocke zurechtstrich oder die vielknöpfigen Handschuhe anstreifte. Trat nur erst die Braut im Glanze ihrer Schönheit aus jener Tür heraus, so hoffte er, würden alle Wahngebilde schwinden, und Freude und Zuversicht die Oberhand behalten.
Die Ankunft des Dieners, der ihm die noch fehlenden Stücke seines Anzugs brachte, riß ihn endlich aus allen Fieberphantasien. Während er sich die Krawatte umband und die Handschuhe zuknöpfte, fühlte er, daß er wieder der Doktor Kameron sei, der Mann, der wegen seiner praktischen Anschauungen, seines gesunden Urteils in der ganzen Stadt bekannt war. Er mußte über seine eigene Torheit lachen, als er sah, wie der Diener, der ihm beim Anziehen behilflich gewesen, auf jene so angstvoll beobachtete Tür zuging und ganz zuversichtlich anklopfte. Als nun kurz darauf von innen geöffnet wurde und die Braut dem Diener Antwort gab, blieb ihr Schleier und die lange Schleppe dem Doktor sichtbar, bis auch er das Zeichen erhielt. In dem Gewirre, in der freudigen Geschäftigkeit, die nun entstand, war wirklich alle Sorge und Angst vergessen; kein Mißton störte des Bräutigams frohe Seelenstimmung; er gab sich ganz dem Glück der Gegenwart hin.
Da, als das Paar vielleicht die Hälfte der Treppe hinabgeschritten war, fühlte Kameron plötzlich, daß der Arm seiner Braut bleischwer auf dem seinigen lag. Er schaute auf und sah an seiner Seite nicht eine holde Braut, ein fühlendes Wesen, sondern ein bleiches Gespenst, dessen gläserne Augen ins Leere starrten und sein Herz mit Grauen erfüllten.
Was war ihr? Hatte sie den Verstand verloren? Er drückte ihren Arm fest an sich und rief sie mit leiser aber fester Stimme beim Namen. Ein Schauder flog durchihre Glieder; sie wandte den Kopf nach ihm hin, ihre Lippen verzogen sich langsam und allmählich zu einem erzwungenen Lächeln. Auf der Stufe, die sie eben betreten, stehen bleibend, deutete Kameron auf die wogende Menge am Fuß der Treppe und sagte:
Dort unten erwartet man uns, der Pfarrer steht bereit, deine Eltern ihm zur Seite. Aber wenn du nicht mein Weib werden willst, wenn irgend ein Hindernis im Wege steht, wenn du fühlst, daß ich dir nicht der Gatte sein kann, den du begehrst – sage es – noch ist Zeit zur Umkehr. Es ist nicht zu spät dazu, solange nicht am Traualtar das bindende Wort gesprochen worden ist.
Furchtsam hatte sie die Augen geöffnet, als er zu reden begann, jetzt schlossen sich ihre Lider, und sie murmelte tonlos: Laß uns weitergehen.
Nein, Genofeva, beharrte er, keinen Schritt, bis du mir eine Versicherung gegeben: Gehört dein Herz mir? Steht kein anderer Mann zwischen uns, dessen Andenken dir diesen Augenblick furchtbar macht? Wenn dem so ist –
Nicht doch, nein, flüsterten ihre Lippen, die bei seinen Fragen die aschbleiche Färbung verloren. Ich bin nur krank, ich leide entsetzlich; weiter nichts.
Er wandte den Blick nicht von ihr. Es gab ja Fälle, in denen Krankheit das Aussehen eines Menschen in kürzester Zeit völlig zu entstellen vermag. Seit er sie zuletzt gesund und blühend gesehen, war eine halbe Stunde vergangen. Konnte sie nicht plötzlich von einem solchen Uebel befallen worden sein?
Fühlst du dich zu krank, um zur Trauung zu gehen? fragte er.
Nein.
Kannst du aber auch die Anstrengung und Aufregung ertragen?
Ich kann alles ertragen.
Er setzte den Fuß auf die nächste Stufe.
Genofeva! sagte er, abermals stillstehend.
Was? flüsterte sie matt.
Liebst du mich?
Ihre Gestalt, die sich bisher nur durch feste Willenskraft aufrecht erhalten, schmiegte sich plötzlich an ihn mit echt weiblicher Hingebung.
Von ganzem Herzen! murmelte sie.
Dann, sagte er, bin ich zufrieden.
Das Paar schritt die Treppe hinab.
Ohne weiteren Aufenthalt gelangten sie in den Saal, wo Hunderte von Augen
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