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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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verreist gewesen. Alles das erfordert Zeit, ob viel oder wenig, weiß ich noch nicht. Wollen Sie der Wahrheit auf den Grund kommen, so gedulden Sie sich noch eine Weile, bevor Sie die Kommission berufen. Unnütz werde ich die Angelegenheit gewiß nicht verzögern. Nun gut, tun Sie Ihr Möglichstes; ich verlasse mich ganz auf Sie, Herr Gryce. –

Achtes Kapitel.
    Frau Olneys Entrüstung über die Anwesenheit des Detektivs Harrison hatte sich bald gelegt, als sie sah, wie ehrerbietig und rücksichtsvoll sich der junge Mann benahm. Im Verlauf der langen Nachtwache würde es ihm sicher gelungen sein, manches von ihr zu erfahren, was sein Vorgesetzter zu wissen wünschte, aber Doktor Molesworths düstere Gegenwart machte die gute Frau befangen. Dieser saß mit finsterer Miene da, schroff und unzugänglich, sein wachsames Auge, sein scharfes Ohr verhinderte jede vertrauliche Mitteilung. Der Polizist sah sich daher auf seine eigenen Beobachtungen beschränkt, deren Ergebnis recht dürftig ausfiel; nur was er am Morgen über die Beschaffenheit von Fräulein Farleys Kleidung zu berichten hatte, war für Gryce von besonderem Interesse gewesen.
    Nach der Unterredung mit dem Coroner betrachtete es Gryce als seine erste Aufgabe, sich mit der Vorgeschichte des unglücklichen Mädchens bekannt zu machen. Dies glückte ihm über Erwarten. Frau Olney, welcher er sich zu dem Zweck unter seinem wahren Charakter vorstellte, erzählte ihm ohne Argwohn alles was sie wußte, augenscheinlich befriedigt über den aufmerksamen Zuhörer, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Was sie berichtete, war folgendes:
    Mildred Farley war eine Waise. Erst vor einem Monat halte sie ihre Mutter verloren, die, seit lange verwitwet, mit der Tochter zusammen das Zimmer im Oberstock bewohnte, welches letztere bis zu ihrem plötzlichen Tode innehatte. Für diese Mutter, eine höchst anziehende aber kränkliche Frau, von zurückhaltendem stillem Wesen, in deren schwermütigen Augen eine lange Geschichte von Liebe und Herzeleid zu lesen stand, hatte die Tochter ganz gelebt. Mildred vergötterte sie, brachte ihr jedes Opfer und arbeitete von früh bis spät, um sie nicht nur vor Mangel zu schützen, sondern ihr auch die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens zu verschaffen, an die sie gewöhnt war. Damit Frau Farley nicht die frühern bessern Tage allzu schmerzlich vermisse, hatte die Tochter einen Beruf erwählt, der offenbar nicht im Einklang mit ihrer seinen Erziehung und geistigen Fähigkeit stand, sich aber bei angestrengter Arbeit als lohnend erwies.
    Auch nach ihrer Mutter Tode ließ Mildred in ihrer emsigen Tätigkeit nicht nach, obgleich sie sich nun mehr Erholung hätte gestatten können. Vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein war sie beschäftigt, ein prächtiges Kleid nach dem andern zu vollenden. Frau Olney zerbrach sich vergebens den Kopf, was dieser rastlose Fleiß zu bedeuten habe. Sie hätte gern Mildreds Zukunft gesichert gesehen und hoffte und wünschte, sie möchte über kurz oder lang ihr Geschick mit dem des Doktors vereinigen.
    Die beiden jungen Leute sahen sich täglich am Mittagstisch und standen allem Anschein nach auf freundschaftlichem Fuße miteinander, aber weder des Arztes zerstreutes, verschlossenes Wesen, noch Mildreds gleichförmige Höflichkeit ließ darauf schließen, daß sich der Herzenswunsch der fürsorglichen Frau erfüllen sollte. Das junge Mädchen schien durchaus nicht mit Heiratsgedanken umzugehen. Daß sie ihre gewohnte Lebensweise unterbrach, um jenen Ausflugzu machen und sich etwas zu erholen, war zu natürlich, um Verwunderung zu erregen. Der Doktor aber hatte in seinen Gewohnheiten und seinem Benehmen nicht das Geringste geändert. So war denn Frau Olney durch die Nachricht von der beabsichtigten Heirat völlig überrascht worden, und das darauffolgende jammervolle Ereignis hatte sie tief erschüttert. Der guten Frau war es unfaßlich, daß dies jugendkräftige, blühende Geschöpf, welchem weder die schwere Pflege noch die harte Arbeit der letzten Monate etwas von seiner Frische hatte rauben können, urplötzlich im Fieberwahn Hand an sich gelegt, einen Selbstmord begangen haben sollte.
    Es mag sein, schloß sie ihren Bericht, daß so etwas den Menschen überfällt, man weiß nicht wie. Aber solch ein Ende paßt nun einmal ganz und gar nicht zu Mildreds Charakter, soweit ich ihn kenne. Hätte sie den Doktor glühend geliebt oder gehaßt, so wäre mir's vielleicht begreiflich. Davon aber war keine Rede, und

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