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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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anziehend.
    Selbst die Schönste der Schönen, ein Weib, das aller Reiz der Anmut schmückt, dürfte nicht wagen, sich unaufgefordert dem einsamen Denker zu nahen. Wenn sie ihn auch liebte und danach schmachtete, ihm schmeichelnd die dunkle Locke aus der Stirn zu streichen, die seine Brauen beschattet, sie würde nur mit bangem Zagen die Hand erheben oder seinen Namen flüstern. Allein und sich selbst genügend, ohne von außen Hilfe, Ermutigung oder Zerstreuung zu bedürfen, kämpft er gegen die bösen Geister in seiner Brust oder ruft seine guten Engel wach. Er kennt nur den einen Wunsch: seinen Beruf vollkommen zu beherrschen; nur den einen Ehrgeiz: unter allen lebenden Aerzten für den geschicktesten, den gelehrtesten, den größten zu gelten.
    Danach hatte er seit seiner Knabenzeit gestrebt; um dieses Ziel zu erreichen, Kälte, Hunger und Armut ertragen, nach dem Rat seiner Mutter. Er war ohne Murren bisher gering und unbekannt geblieben, in der sichern Zuversicht, daß der Ruf, den er sich unter der armen Bevölkerung des östlichen Stadtteils erworben, sich eines Tages bis in die Kreise der Reichen und Gebildeten verbreiten werde. Dann würde dem Verdienst die Auszeichnung nicht fehlen, welche Macht und Größe im Gefolge hat.
    Vielleicht war der langersehnte Tag schon näher, als er glaubte. Erst kürzlich war ihm ein besonders schwieriger und verwickelter Fall anvertraut worden, dessen erfolgreiche Behandlung Aufsehen erregen und ihn zu Ruhm und Ehre führen mußte. Ein Mißlingen war nicht denkbar; das fühlte, das wußte er. Die ausgezeichnetsten Aerzte der Stadt hatten sich zwar vergebens bemüht, diese Krankheit zu heilen, er aber hatte ein Mittel entdeckt, das gerade für diesen Fall paßte und dessen Wirkung die ganze medizinische Welt in Erstaunen setzen mußte. Freilich gehörte Mut dazu, es zu verordnen, und ein unbeugsamer Wille, diegenaue Anwendung durchzusetzen, aber Molesworth besaß diese Eigenschaften in hohem Maße, und sein Eifer war so groß, daß nichts ihn dämpfen, niemand ihn an der Ausführung hindern konnte. Eine Gelegenheit, wie sie sich hier bot, kam vielleicht im Leben nicht wieder; es galt, sie kühn zu ergreifen.
    War es dieser interessante Fall, über den er so eifrig nachdachte, daß er das leise Knarren der Tür überhörte? Hatte er, wie er so dem flammenden Kamin gegenübersaß, einen Entschluß gefaßt über die Art des Verfahrens, das er in Anwendung bringen wollte? Wohl möglich, denn seine Züge erhellten sich, er sprang plötzlich freudig auf, nicht als wolle er ein Geheimnis verbergen, sondern als habe er eins entdeckt.
    Ja, so ist es, rief er, in kleinen, häufig wiederholten Dosen muß es gegeben werden. Ich setze mein Leben zum Pfande, daß es gelingt.
    Als er das Haupt hob, erblickte er gerade vor sich in dem Spiegel, der über dem Kaminsims hing, ein ihm zugewandtes Gesicht in der offenen Tür. Es lag in der entschlossenen, ruhigen Miene des Mannes, der da so plötzlich erschienen war, ein gewisses Etwas, das dem also Ueberraschten deutlich verkündete, eine entscheidende Stunde sei gekommen. Ob darauf gefaßt oder nicht, er erkannte in diesem Augenblick, daß es mit allen seinen Hoffnungen vorbei war, daß sie schwinden würden, wie ein wesenloses Trugbild, ein blendender Schein.
    Wiewohl er das Gesicht im Spiegel sah, tat er doch, als bemerke er es nicht; erst mußte er seine Fassung wiedergewinnen und zu einem Entschluß gelangen. Dann wandte er sich anscheinend verwundert, doch höflich zu dem Eintretenden.

    Entschuldigen Sie, sagte er, um diese Stunde bin ich für meine Patienten nicht zu sprechen.
    Ich bin kein Patient, entgegnete Gryce.
    Aber Sie kommen in Geschäften. Ihr Gesicht scheint
    mir bekannt, doch besinne ich mich vergebens, wo ich es schon gesehen habe.
    Es handelt sich hier nicht um mein Gesicht, nur um meinen Auftrag; der läßt sich mit kurzen Worten erledigen: Ich komme als Polizeibeamter mit dem Befehl,Sie zu verhaften, Doktor Molesworth, als des Mordes von Mildred Farley verdächtig.
    Der Doktor, der am Tisch gestanden hatte, griff nach einem dort liegenden Papier, las die wenigen darauf verzeichneten Worte und machte dann eine leichte Verbeugung gegen den Detektiv. Dies war seine einzige Erwiderung auf die furchtbare Ankündigung, die er soeben vernommen.
    Ich bin beauftragt, Sie in Haft zu nehmen, fuhr Gryce fort. Aber, wenn Sie vorher noch eine Verfügung zu treffen haben –
    Ich bitte um eine halbe Stunde Frist, entgegnete der Doktor

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